Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
aber mehrere Anläufe, um sie zu schließen. Als ich es endlich geschafft hatte und zurücktreten wollte, nahm er meine Hand und drückte sie über der goldenen Sonne auf sein Herz.
»Ist das alles?«, fragte er.
Wir standen dicht an dicht im warmen Dunkel des Gartens. Es war seit Wochen der erste Moment, den wir ganz für uns allein hatten.
»Alles?«, wiederholte ich, aber meine Stimme war nur ein Hauchen.
»Wenn ich mich recht erinnere, hast du mir einen Umhang und eine feine Mütze versprochen.«
»Ich entschädige dich dafür«, sagte ich.
»Flirtest du etwa?«
»Nein, ich handle.«
»Gut«, sagte er. »Aber die erste Rate ist sofort fällig.«
Er klang scherzhaft, doch sein Kuss war ernst. Er schmeckte nach Wärme und frisch gereiften Pfirsichen aus dem gräflichen Garten. Er küsste mich heftig und ich spürte seine Sehnsucht und ein ganz neues, brennendes Verlangen, das in mir ein heißes Kribbeln hervorrief.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, schlang meine Arme um seinen Nacken, fühlte, wie mein ganzer Körper mit ihm verschmolz. Er hatte die Kraft eines Soldaten, ich spürte sie im festen Griff seiner Arme und im Druck seiner Finger, die sich in die Seide über meinen Schulterblättern krallten, als er mich an sich zog. Er hielt mich entschlossen, ja fast verzweifelt, so als könnte ich ihm gar nicht nahe genug sein.
Mein Kopf schwirrte und ich konnte kaum noch denken. Trotzdem drang das Geräusch von Schritten an meine Ohren und im nächsten Augenblick kam Tamar auf dem Pfad auf uns zugerannt.
»Wir haben Besuch«, sagte sie.
Maljen riss sich von mir los und zog gleichzeitig das Gewehr von der Schulter. »Wer ist es?«
»Eine Schar von Leuten steht vor dem Tor und bittet um Einlass. Sie wollen zur Sonnenkriegerin.«
»Pilger?«, fragte ich und versuchte meine von Küssen benebelten Gedanken zu ordnen.
Tamar schüttelte den Kopf. »Sie behaupten, Grischa zu sein.«
»Hier?«
Maljen legte mir eine Hand auf den Arm. »Warte im Haus, Alina. Jedenfalls bis wir geklärt haben, was sie wollen.«
Ich zögerte. Einerseits gefiel es mir nicht, wegzulaufen und mich zu verstecken, andererseits wollte ich keine Dummheit begehen. Am Tor erschallte ein Ruf.
»Nein«, sagte ich. »Wenn es wirklich Grischa sind, braucht ihr mich vielleicht.«
Weder Tamar noch Maljen wirkten erfreut, aber sie nahmen mich in die Mitte und wir eilten auf dem Kiespfad zum schmiedeeisernen Tor des Anwesens.
Davor hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Tolja, der alle überragte, war leicht zu erkennen. Nikolaj stand ganz vorn, umringt von Soldaten, die ihre Waffen bereithielten, und von bewaffneten Dienern des Grafen. Auf der anderen Seite der Gitterstäbe hatte sich eine kleine Schar versammelt, aber ich konnte niemanden erkennen. Da rüttelte jemand am Tor und die Stimmen wurden lauter.
»Bringt mich hin«, sagte ich. Tamar warf Maljen einen besorgten Blick zu. Ich reckte das Kinn. Wenn sie wirklich meine Wachen sein wollten, mussten sie gehorchen. » Sofort . Ich muss wissen, was vorgeht, bevor die Situation eskaliert.«
Tamar winkte Tolja, und der Riese trat vor uns und bahnte sich mühelos einen Weg durch die Menge. Ich war immer klein gewesen, und eingezwängt zwischen Maljen und den Zwillingen und auf allen Seiten bedrängt von Soldaten, rang ich plötzlich um Atem. Ich kämpfte einen Anflug von Panik nieder und versuchte dann, Nikolaj, den ich am Tor mit jemandem streiten hörte, zwischen den vielen Menschen auszumachen.
»Wenn wir einen Lakaien des Zaren sprechen wollten, würden wir am Großen Palast klopfen«, sagte jemand ungeduldig. »Aber wir sind wegen der Sonnenkriegerin gekommen.«
»Etwas mehr Respekt, Blutrünstling«, brüllte ein Soldat. »Du sprichst mit einem Prinzen von Rawka und Offizier der Ersten Armee.«
Die Sache sah nicht gut aus. Ich zwängte mich weiter durch die Menge, blieb jedoch stehen, als ich den Korporalnik auf der anderen Seite der Eisenstäbe erblickte. »Fedjor?«
Ein Grinsen trat auf sein langes Gesicht. »Alina Starkowa«, sagte er. »Ich hatte inständig gehofft, dass die Gerüchte stimmen.«
Ich musterte Fedjor wachsam. Er war von mehreren Grischa in staubbedeckten Keftas umringt. Die meisten trugen das Karmesinrot der Korporalki, andere das Blau der Ätheralki, einige wenige das Purpur der Materialki.
»Kennst du ihn?«, fragte Nikolaj.
»Ja«, sagte ich. »Er hat mir das Leben gerettet.« Fedjor hatte sich damals zwischen mich und die Attentäter der Fjerdan
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