Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
tat er mir etwas leid.
»Manchmal«, gab ich zu.
Er rieb sich verstört den Nacken. Dann zuckte er mit den Schultern. »Ich bin der zweite Sohn, wahrscheinlich ein Bastard, und ich war seit fast sieben Jahren nicht mehr bei Hofe. Ich tue alles, was in meiner Macht liegt, um meine Aussichten auf die Thronfolge zu erhöhen, und wenn das bedeutet, dass ich eine ganze Nation hofieren oder dir schöne Augen machen muss, dann werde ich genau das tun.«
Ich starrte ihn an. Nach dem Wort »Bastard« hatte ich nicht mehr zugehört. Genja hatte von Gerüchten über Nikolajs Herkunft erzählt, aber dass er so offen davon sprach, entsetzte mich.
Er lachte. »Wenn du nicht lernst, deine wahren Gedanken zu verbergen, wirst du bei Hofe nicht überleben. Du siehst aus, als hättest du gerade einen Geist gesehen. Mach den Mund wieder zu.«
Ich klappte den Mund zu und versuchte freundlicher dreinzuschauen, aber Nikolaj lachte nur umso lauter. »Jetzt siehst du aus, als wärst du beschwipst.«
Ich gab auf und sank gegen die Sitzlehne. »Wie kannst du über so etwas scherzen?«
»Ich kenne diese Gerüchte seit meiner Kindheit. Nicht, dass ich es außerhalb dieser Kutsche verlauten lassen würde – und wenn du es tätest, würde ich alles leugnen –, aber mir ist egal, ob das Blut der Lantsows in meinen Adern fließt oder nicht. Angesichts der Inzucht in Zarenfamilien wäre es wohl sogar von Vorteil, ein Bastard zu sein.«
Ich schüttelte den Kopf. Nikolaj machte mich sprachlos. Ich wusste nie, ob er seine Worte ernst meinte oder nicht.
»Warum ist dir die Krone so wichtig?«, fragte ich. »Warum tust du dir all das an?«
»Ist es so schwer zu glauben, dass mir das Schicksal dieses Landes ernsthaft am Herzen liegt?«
»Um ehrlich zu sein: Ja.«
Er betrachtete die Spitzen seiner polierten Stiefel und ich fragte mich, wie sie immer so glänzen konnten.
»Ich bringe die Dinge gern in Ordnung, denke ich«, sagte er. »Das war schon immer so.«
Das war zwar keine zufriedenstellende Antwort, klang jedoch irgendwie aufrichtig.
»Glaubst du tatsächlich, dass dein Bruder um deinetwillen auf den Thron verzichten würde?«
»Ich hoffe. Er weiß, dass die Erste Armee hinter mir stehen würde, und ich glaube nicht, dass er den Mumm hätte, einen Bürgerkrieg zu riskieren. Sobald ihm bewusst wird, was es wirklich heißt, ein Land zu führen, wird er es sehr eilig haben, aus der Hauptstadt zu verschwinden.«
»Und wenn er nicht so leicht aufgibt?«
»Er braucht nur den richtigen Anreiz. Ob Bettelmann oder Prinz – jeder ist käuflich. Es kommt nur auf den Preis an.«
Noch eine Weisheit aus dem Mund Nikolaj Lantsows. Ich warf einen Blick aus dem Kutschenfenster und konnte aus den Augenwinkeln Maljen sehen, der aufrecht im Sattel saß und der Kutsche folgte.
Nikolaj folgte meinem Blick. »Doch, Alina, sogar dein tapferer Beschützer ist käuflich.« Er betrachtete mich nachdenklich. »Und ich glaube, der Preis dafür befindet sich direkt vor meinen Augen.«
Ich rutschte unruhig hin und her. »Du bist immer so selbstgewiss«, sagte ich säuerlich. » Ich könnte auch beschließen, den Thron zu besteigen, und würde dich dann im Schlaf ersticken.«
Nikolaj grinste nur. »Endlich denkst du wie eine Politikerin«, sagte er.
Schließlich gab Nikolaj nach und verließ die Kutsche, doch es dauerte noch Stunden, bis wir abends haltmachten. Ich musste Maljen gar nicht erst suchen. Als sich die Tür der Kutsche öffnete, stand er da und streckte eine Hand aus, um mir hinauszuhelfen. Der Platz wimmelte von Pilgern und anderen Reisenden. Alle reckten den Hals, um einen Blick auf die Sonnenkriegerin zu erhaschen, aber ich wusste nicht, wann sich wieder die Gelegenheit bieten würde, mit ihm zu reden.
»Bist du wütend?«, flüsterte ich, während er mich über das Kopfsteinpflaster führte. Ich konnte Nikolaj sehen, der am anderen Ende des Platzes mit lokalen Würdenträgern sprach.
»Auf dich? Nein. Aber ich werde ein Wörtchen mit Nikolaj reden, sobald ich ihn ohne Wachen antreffe.«
»Falls es dir ein besseres Gefühl gibt: Ich habe ihn getreten.«
Maljen lachte. »Wirklich?«
»Zwei Mal. Hilft das?«
»Oh ja.«
»Ich werde ihm beim Abendessen noch mal auf den Fuß treten.« Das lag ganz sicher außerhalb des Tritt-Verbots.
»Und? Keine Ohnmacht und kein Herzflattern? Nicht einmal in den Armen eines Prinzen?«
Er zog mich auf, doch ich konnte einen ernsten Unterton aus seinen Worten heraushören.
»Ich bin offenbar immun
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