Grischa: Goldene Flammen
und sie sah umwerfend aus. Ich richtete mich auf und wusste nicht, was ich sagen sollte.
Sie trat ein und stellte das Tablett auf den Tisch. »Eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein«, sagte sie.
»Wahrscheinlich nicht«, stimmte ich zu. »Ich weià nicht, ob ich Besuch bekommen darf.«
»Nein, ich meine diesen Ort an sich . Es ist unglaublich dreckig hier.«
Ich lachte, denn ich war froh, dass sie da war. Sie lächelte leise und lieà sich anmutig auf dem Rand eines bemalten Stuhls nieder.
»Angeblich hattest du dich in die Einsamkeit zurückgezogen, um dich auf eine schwierige Aufgabe vorzubereiten«, sagte sie.
Ich musterte Genja, um zu ergründen, wie viel sie wusste. »Ich hatte keine Gelegenheit mehr, mich von dir zu verabschieden, bevor ich ⦠gegangen bin«, sagte ich vorsichtig.
»Ich hätte dich aufgehalten.«
Sie wusste also, dass ich geflohen war. »Wie geht es Baghra?«
»Sie wurde seitdem nicht mehr gesehen. Sie scheint sich auch in die Einsamkeit zurückgezogen zu haben.«
Ich erschauderte. Hoffentlich war Baghra entkommen, aber ich wusste, wie unwahrscheinlich das war. Welchen Preis hatte sie dem Dunklen für ihren Verrat bezahlen müssen?
Ich biss auf meine Unterlippe. Dann beschloss ich, meine vielleicht einzige Chance zu ergreifen. »Wenn ich nur den Zaren benachrichtigen könnte, Genja. Ich bin mir sicher, dass er nicht weiÃ, was der Dunkle im Schilde führt. Er â¦Â«
»Alina«, unterbrach mich Genja. »Der Zar ist krank. Der Asket führt stellvertretend für ihn die Regierungsgeschäfte.«
Mir sank das Herz. Ich erinnerte mich an die Worte, die der Dunkle an dem Tag gesprochen hatte, als ich dem Asketen zum ersten Mal begegnet war: Ich meine, dass er in mancher Hinsicht nützlich ist.
Trotzdem hatte der Priester nicht nur vom Sturz des Zaren, sondern auch von dem des Dunklen geredet. Hatte er mich warnen wollen? Hätte ich damals nur weniger Angst gehabt. Hätte ich ihm doch besser zugehört. Noch zwei Punkte auf der langen Liste jener Dinge, die ich bereute. Ich wusste nicht, ob der Asket dem Dunklen tatsächlich treu ergeben war oder ob er ein doppeltes Spiel spielte, aber das konnte ich jetzt nicht mehr in Erfahrung bringen.
Die Hoffnung, dass der Zar den Wunsch oder den Willen besaÃ, sich gegen den Dunklen zu stellen, war zwar schwach gewesen, hatte mich während der letzten Tage aber etwas getröstet. Nun musste ich auch sie begraben. »Und die Zarin?«, fragte ich mit vorgetäuschtem Optimismus.
Ein zorniges Lächeln umspielte Genjas Lippen. »Die Zarin darf ihre Gemächer nicht verlassen. Zu ihrer eigenen Sicherheit. Wegen der Ansteckungsgefahr.«
Ich wurde mir erst in diesem Moment der Kleidung bewusst, die Genja trug. Ihr Erscheinen hatte mich so überrascht und meine eigenen Sorgen hatten mich so beschäftigt, dass ich sie gar nicht richtig wahrgenommen hatte. Genja trug Rot. Das Rot der Korporalki. Ihre Ãrmelaufschläge waren in Blau bestickt, eine Kombination, die ich noch nie gesehen hatte.
Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Welche Rolle hatte Genja bei der Erkrankung des Zaren gespielt? Was hatte sie getan, um endlich wieder wahre Grischa-Farben tragen zu dürfen?
»Verstehe«, erwiderte ich leise.
»Ich wollte dich warnen«, sagte sie betrübt.
»WeiÃt du, was der Dunkle vorhat?«
»Es gibt Gerüchte«, antwortete sie ausweichend.
»Und alle treffen zu.«
»Dann gibt es wohl kein Zurück mehr.«
Ich starrte sie an. Nach einer Weile senkte sie den Blick und spielte unruhig mit den Falten ihrer Kefta. »David ist todunglücklich«, flüsterte sie. »Er bildet sich ein, ganz Rawka auf dem Gewissen zu haben.«
»Es ist nicht seine Schuld«, sagte ich und lachte hohl. »Wir alle haben unseren Teil dazu beigetragen, das Ende der Welt herbeizuführen.«
Genja sah mich scharf an. »Das ist nicht dein Ernst, oder?« Der Kummer stand ihr ins Gesicht geschrieben. Vielleicht auch eine Warnung?
Ich dachte an Maljen und die Drohungen des Dunklen. »Nein«, sagte ich tonlos. »Natürlich nicht.«
Ich wusste, dass sie mir nicht glaubte, aber ihre Miene hellte sich trotzdem augenblicklich auf und sie lächelte mich wieder zärtlich und strahlend an. Ihre Haare, die einem schimmernden kupferroten Heiligenschein glichen, verliehen ihr etwas Ikonenhaftes.
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