Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grischa: Goldene Flammen

Grischa: Goldene Flammen

Titel: Grischa: Goldene Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
Vom Netzwerk:
herrschaftlich und die Dienerin sauste los. Genja schloss die Tür und ging zur kleinen Schminkkommode, wo sie die Utensilien ordnete: Kamm, Bürste, Feder und Tintenfässchen. Nichts davon gehörte mir, aber anscheinend hatte man diese Dinge für mich bereitgelegt.
    Genja kehrte mir noch den Rücken zu, als sie sagte: »Wenn du morgen deine Lehrzeit antrittst, Alina, solltest du wissen … nun, Korporalki essen nicht gemeinsam mit Beschwörern. Beschwörer essen nicht mit Fabrikatoren und …«
    Ich hatte plötzlich das Gefühl, mich verteidigen zu müssen. »Ich weine bestimmt nicht in meine Suppe, nur weil du nicht zum Essen bleiben willst.«
    Â»Nein!«, rief sie. »Das meine ich nicht! Ich wollte dir nur erklären, welche Regeln hier gelten.«
    Â»Vergiss es einfach.«
    Genja schnaubte frustriert. »Du verstehst mich falsch. Deine Einladung, mit dir zu essen, ist eine große Ehre für mich. Aber sie könnte die anderen Grischa verärgern.«
    Â»Warum?«
    Genja seufzte und setzte sich auf einen der mit Schnitzwerk verzierten Stühle. »Weil ich das Schoßhündchen der Zarin bin. Weil sie meiner Arbeit keinen Wert beimessen. Und so weiter.«
    Ich dachte über mögliche weitere Gründe nach. Ob sie etwas mit dem Zaren zu tun hatten? Dann dachte ich an die Diener in weiß-goldener Livree, die im Großen Palast vor jeder Tür standen. Genja war von ihresgleichen isoliert und trotzdem keine echte Angehörige des Hofstaates. Wie mochte das für sie sein?
    Â»Schon lustig«, sagte ich nach einer Weile. »Ich habe immer geglaubt, das Leben wäre einfacher, wenn man schön ist.«
    Â»So ist es ja auch«, sagte Genja lachend.
    Ich stimmte unwillkürlich in ihr Lachen ein.
    Da klopfte die Näherin. Gleich darauf waren wir mit Anprobe und Maßnehmen beschäftigt. Als die Näherin Musselin und Nadeln wieder einpackte, flüsterte Genja: »Noch ist es nicht zu spät. Du kannst immer noch …«
    Doch ich unterbrach sie. »Blau«, sagte ich entschieden, obwohl sich mein Magen erneut verkrampfte.
    Nachdem die Näherin gegangen war, wandten wir uns dem Essen zu. Es war weniger exotisch als erwartet und ähnelte den Feiertagsgerichten in Keramzin: Zuckererbsenbrei, in Honig gebratene Wachteln und frische Feigen. Ich war so hungrig wie noch nie und musste mich beherrschen, um meinen Teller nicht abzulecken.
    Genja plauderte ununterbrochen, meist von dem Klatsch und Tratsch, der unter den Grischa im Umlauf war. Ich kannte keine der Personen, von denen sie erzählte, war aber dankbar, nicht selbst reden zu müssen. Also nickte ich immer wieder und lächelte, falls erforderlich. Nachdem die Dienerinnen den Tisch abgedeckt hatten und gegangen waren, konnte ich ein Gähnen nicht unterdrücken, und Genja stand auf.
    Â»Ich hole dich morgen zum Frühstück ab. Du wirst dich hier anfangs nicht zurechtfinden, denn der Kleine Palast ist ein wahres Labyrinth.« Ihre makellosen Lippen dehnten sich zu einem Lächeln. »Ruh dich jetzt aus. Morgen lernst du dann Baghra kennen.«
    Â»Baghra?«
    Genja grinste spitzbübisch. »Oh ja. Sie ist ein echter Schatz.«
    Bevor ich weitere Fragen stellen konnte, winkte sie mir zum Abschied und schlüpfte durch die Tür hinaus. Ich biss auf meine Unterlippe. Was stand mir morgen bevor?
    Als sich die Tür hinter Genja schloss, spürte ich, wie mich die Müdigkeit überwältigte. Das aufwühlende Wissen, dass ich tatsächlich irgendeine Macht in mir trug, die erstaunlichen Begegnungen mit Zar und Zarin und die Wunder des Großen und des Kleinen Palastes hatten meine Erschöpfung verdrängt, aber nun holte sie mich ein – und mit ihr überkam mich ein Gefühl tiefer Einsamkeit.
    Ich zog mich aus, hängte meine Uniform ordentlich hinter dem mit Sternen übersäten Wandschirm auf und stellte meine neuen, glänzenden Stiefel darunter. Ich prüfte die gebürstete Wolle des Mantels mit den Fingern, weil ich auf ein Gefühl der Vertrautheit hoffte, aber der Stoff fühlte sich falsch an, zu steif und zu neu. Plötzlich vermisste ich meinen dreckigen, alten Mantel.
    Ich schlüpfte in ein Nachthemd aus weicher weißer Baumwolle und wusch mich. Beim Abtrocknen erhaschte ich im Spiegel über dem Becken einen Blick auf mein Gesicht. Vielleicht lag es am Schein der Lampen, aber ich hatte den

Weitere Kostenlose Bücher