Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grischa: Goldene Flammen

Grischa: Goldene Flammen

Titel: Grischa: Goldene Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
Vom Netzwerk:
Eindruck, noch besser auszusehen als direkt nach Genjas Behandlung. Kurz darauf wurde mir bewusst, dass ich mich selbstverliebt betrachtete, und ich musste lächeln. Früher hatte ich meinen Anblick im Spiegel gehasst, aber jetzt schien ich eitel zu werden.
    Ich kletterte ins Bett, schlüpfte unter die schweren Pelze und Seidendecken und pustete die Lampe aus. Ich hörte, wie weit entfernt eine Tür geschlossen wurde und Wünsche zur guten Nacht gewechselt wurden – der Kleine Palast begab sich zur Ruhe. Ich starrte ins Dunkel. Ich hatte noch nie ein eigenes Zimmer gehabt. In Keramzin hatte ich mit vielen Mädchen in der alten Ahnengalerie geschlafen, die in einen Schlafsaal umgewandelt worden war. In der Armee hatte ich mit den anderen Feldmessern in Zelten oder Kasernen genächtigt. Mein neues Zimmer kam mir leer und riesig vor. Die Stille hatte zur Folge, dass mich alles bedrängte, was ich an diesem Tag erlebt hatte, und plötzlich traten mir Tränen in die Augen.
    Vielleicht würde ich morgen beim Erwachen feststellen, dass alles nur ein Traum gewesen war, dass Alexej noch lebte und Maljen unverletzt war, dass niemand versucht hatte, mich zu ermorden, dass ich weder Zar und Zarin noch dem Asketen begegnet war, nie die Hand des Dunklen auf meinem Nacken gespürt hatte. Vielleicht würde ich zum Geruch eines Lagerfeuers erwachen, auf meinem Feldbett und in meinen alten Kleidern, und dann würde ich Maljen von diesem seltsamen und furchterregenden, zugleich aber wunderschönen Traum erzählen.
    Ich strich mit dem Daumen über die Narbe auf meiner Handfläche und hörte Maljen sagen: Uns wird nichts passieren, Alina. Du weißt doch, dass wir einen Schutzengel haben.
    Â»Das hoffe ich, Maljen«, flüsterte ich in mein Kopfkissen und weinte mich in den Schlaf.

Nach einer unruhigen Nacht erwachte ich in aller Frühe und konnte nicht wieder einschlafen. Ich hatte abends vergessen, die Vorhänge zuzuziehen, und nun schien die Sonne herein. Ich überlegte, sie zu schließen, um wieder einschlafen zu können, aber mir fehlte die Kraft. Schwer zu sagen, ob es an Angst und Sorgen lag, dass ich mich ständig von einer Seite auf die andere gewälzt hatte, oder daran, dass ich nach den vielen Monaten auf Feldbetten, Fellen oder dem nackten Erdboden den Luxus eines richtigen Bettes nicht mehr gewohnt war.
    Ich strich über den mit Schnitzereien von Vögeln und Ranken verzierten Bettpfosten. Durch den Baldachin des Himmelbettes konnte ich die Zimmerdecke sehen, die mit leuchtend bunten Mustern von Bäumen, Blumen und Vögeln bemalt war. Ich zählte die Blätter eines Wacholders und dämmerte dabei langsam wieder ein, als es an der Tür klopfte. Ich schälte mich aus den schweren Decken und schlüpfte in die Hausschuhe mit Pelzbesatz, die neben dem Bett standen.
    Vor der Tür stand eine Dienerin, die Kleider und Stiefel für mich brachte. Über ihrem Arm hing eine dunkelblaue Kefta. Bevor ich mich bedanken konnte, machte sie einen Knicks und verschwand.
    Ich schloss die Tür und legte Stiefel und Kleider auf das Bett. Die neue Kefta hängte ich sorgfältig über den Wandschirm.
    Ich betrachtete sie lange. Früher hatte ich immer nur die abgelegten Kleider älterer Waisenkinder getragen, danach die Standarduniform der Ersten Armee, aber ein maßgeschneidertes Kleidungsstück hatte ich noch nie besessen. Und dass ich einmal die Kefta einer Grischa tragen würde, hätte ich mir sowieso nie träumen lassen.
    Ich wusch mein Gesicht und kämmte mich. Gern hätte ich ein Bad genommen, aber ich wusste nicht, wann Genja an die Tür klopfen würde. Außerdem sehnte ich mich nach einem Tee, wagte jedoch nicht, nach einer Dienerin zu klingeln. Sobald ich alles erledigt hatte, griff ich nach den auf dem Bett liegenden Kleidern: eine enge Hose aus einem unbekannten Stoff, die wie angegossen passte und sich anfühlte wie eine zweite Haut; eine lange Bluse aus dünner Baumwolle, um die eine dunkelblaue Schärpe gebunden wurde; und zu guter Letzt Stiefel. Die Bezeichnung »Stiefel« kam mir jedoch unpassend vor. Ich hatte immer Stiefel getragen, aber diese bestanden aus allerfeinstem Leder, schmiegten sich an Füße und Fesseln und waren einfach unvergleichlich. Die Kleider erinnerten mich befremdlicherweise an die ländliche Tracht, nur waren diese Stoffe so kostbar, edel und teuer, dass sie für Bauern

Weitere Kostenlose Bücher