Grischa: Goldene Flammen
Genja jedenfalls schienen die Worte des Dunklen nicht weiter zu schockieren.
Als würde der Dunkle mein Unbehagen spüren, sagte er: »Aber heute hast du ihn zu einem sehr glücklichen Kind gemacht.«
»Wer war der Bärtige, der neben dem Zaren stand?«, fragte ich, um möglichst rasch vom Thema abzulenken.
»Der Asket?«
»Ist er ein Priester?«
»In gewisser Weise, ja. Manche halten ihn für einen Fanatiker. Andere für einen Hochstapler.«
»Und Ihr?«
»Ich meine, dass er in mancher Hinsicht nützlich ist.« Der Dunkle wandte sich an Genja. »Für heute haben wir Alina wohl genug zugemutet«, sagte er. »Bring sie wieder in ihr Gemach und lass für ihre Kefta Maà nehmen. Morgen beginnt ihre Lehrzeit.«
Genja verneigte sich flüchtig, legte mir eine Hand auf den Arm und führte mich weg. Aufregung und Erleichterung erfüllten mich. Meine Macht ( meine Macht â es kam mir immer noch unwirklich vor) hatte sich wieder offenbart und mich vor einer Blamage bewahrt. Ich hatte die Vorstellung beim Zaren und die Audienz bei der Zarin überstanden. Und ich sollte die Kefta einer Grischa bekommen.
»Genja«, rief uns der Dunkle nach, »die Kefta muss schwarz sein.«
Genja japste erschrocken. Ich sah in ihr verblüfftes Gesicht, dann zum Dunklen, der sich schon abwandte.
»Wartet!«, rief ich unwillkürlich. Der Dunkle blieb stehen und heftete den Blick seiner schiefergrauen Augen auf mich. »Falls ⦠falls möglich, hätte ich lieber eine blaue Kefta ⦠im Blau der Beschwörer.«
»Alina!«, rief Genja entsetzt.
Doch der Dunkle gebot ihr mit erhobener Hand zu schweigen. »Warum?«, fragte er mit unergründlicher Miene.
»Ich habe sowieso das Gefühl, hier fehl am Platz zu sein. Und vielleicht wäre es einfacher für mich, wenn ich nicht auch noch ⦠so hervorstechen würde.«
»Fürchtest du dich davor, anders zu sein?«
Ich hob mein Kinn. Er war offenbar nicht erfreut, aber ich würde jetzt keinen Rückzieher mehr machen. »Ich möchte nicht noch mehr auffallen.«
Der Dunkle betrachtete mich eine Weile. Ich wusste nicht, ob er über meine Worte nachdachte oder mich einschüchtern wollte, aber ich biss die Zähne zusammen und hielt seinem Blick stand.
Er nickte unvermittelt. »Wie du willst«, sagte er. »Deine Kefta soll blau sein.« Er drehte sich wortlos um und verschwand im Flur.
Genja starrte mich entgeistert an.
»Was denn?«, fragte ich abwehrend.
»Alina«, sagte Genja langsam, »keinem anderen Grischa ist je erlaubt worden, die Farbe des Dunklen zu tragen.«
»Glaubst du, dass er wütend auf mich ist?«
»Darum geht es doch gar nicht! Die Farbe hätte deinen Rang unterstrichen und gezeigt, wie hoch du in der Gunst des Dunklen stehst. Sie hätte dich weit über alle anderen erhoben.«
»Kann sein. Aber ich möchte mich nicht über alle anderen erheben.«
Genja schwenkte verärgert die Hände. Dann ergriff sie mich beim Ellbogen und führte mich zum Hauptportal des Palastes. Zwei livrierte Diener öffneten die groÃen goldenen Türen für uns. Mir wurde schlagartig bewusst, dass sie das Weià und Gold der Diener trugen und dass Genjas Kefta die gleichen Farben hatte. Kein Wunder, dass sie meine Weigerung für verrückt hielt. Und vielleicht hatte sie Recht.
Auf dem langen Weg zum Kleinen Palast lieà mich dieser Gedanke nicht los. Die Dämmerung brach an und Diener entzündeten die Lampen am Kiesweg. Als wir endlich die Treppen zu meinem Gemach hinaufstiegen, war mein Magen ganz verkrampft.
Ich setzte mich ans Fenster und starrte auf die Anlagen. Während ich vor mich hin brütete, klingelte Genja nach einer Dienerin, die eine Näherin und etwas zu essen holen sollte. Bevor die Dienerin verschwand, wandte Genja sich an mich. »Oder möchtest du lieber später am Abend mit den anderen Grischa essen?«, fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf. Ich war so müde und musste so viele Eindrücke bewältigen, dass mich allein der Gedanke an eine weitere Menschenmenge überforderte. »Möchtest du mit mir essen?«, fragte ich.
Sie zögerte.
»Das ist natürlich kein Zwang«, beeilte ich mich zu sagen. »Du willst sicher mit den anderen speisen.«
»Nein, gar nicht. Also ein Mahl für jede von uns«, befahl sie
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