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Grischa: Goldene Flammen

Grischa: Goldene Flammen

Titel: Grischa: Goldene Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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nächsten Tag wieder zu besuchen.
    Ich war offenbar eingeschlafen, denn als ich erwachte, war die Krankenstation dunkel. Es war fast unheimlich still. Die anderen Betten waren leer und das einzige Geräusch war das leise Ticken einer Uhr.
    Ich stemmte mich hoch. Ich fühlte mich noch etwas lädiert. Trotzdem war es unfassbar, dass mein Rippenbruch erst ein paar Stunden her war.
    Mein Mund war trocken und ich hatte Kopfschmerzen. Mühsam stand ich auf und schenkte mir ein Glas Wasser aus der Karaffe auf dem Nachttisch ein. Dann stieß ich das Fenster auf und atmete die Nachtluft tief ein.
    Â»Alina Starkowa.«
    Ich schrak zusammen und fuhr herum.
    Â»Wer ist da?«, keuchte ich.
    Aus den Schatten neben der Tür tauchte der Asket auf.
    Â»Habe ich dich erschreckt?«, fragte er.
    Â»Ein bisschen«, gab ich zu. Wie lange hatte er dort schon gestanden? Hatte er mich im Schlaf beobachtet?
    Er kam lautlos durch den Raum auf mich zu. Sein zerlumptes Gewand schleifte über den Fußboden. Ich wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
    Â»Ich war sehr betrübt, als ich von deiner Verletzung erfuhr«, sagte er. »Der Dunkle sollte auf seine Schützlinge besser achtgeben.«
    Â»Es geht mir schon wieder besser.«
    Â»Tatsächlich?«, fragte er und musterte mich im Mondschein. »Du siehst aber nicht gut aus, Alina Starkowa. Dabei ist es von größter Bedeutung, dass du gesund bleibst.«
    Â»Ich bin nur noch etwas müde.«
    Er kam näher. Sein Geruch, diese eigentümliche Mischung aus Weihrauch, Schimmel und aufgegrabener Erde, stieg mir in die Nase. Ich dachte an den Friedhof in Keramzin, an die schiefen Grabsteine und die Bauersfrauen, die an frischen Gräbern geklagt hatten. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich hier ganz allein war. War der Heiler der Korporalki noch in der Nähe? Oder war er auf ein Glas Kwass und ein warmes Bett verschwunden?
    Â»Wusstest du, dass man in manchen Grenzdörfern Altäre für dich errichtet hat?«, murmelte der Asket.
    Â»Was?«
    Â»Oh, ja. Die Menschen verzehren sich nach Hoffnung und dank dir brummt das Geschäft der Ikonenmaler.«
    Â»Ich bin doch keine Heilige!«
    Â»Du bist ein Segen, Alina Starkowa. Ein Segen für dieses Land.« Er trat noch näher an mich heran. Ich sah die dunklen, verfilzten Haare seines Bartes, die schiefen, fleckigen Zähne. »Du stellst allmählich eine Gefahr dar, und mit der Zeit wirst du noch gefährlicher werden.«
    Â»Ich?«, flüsterte ich. »Für wen?«
    Â»Es gibt etwas, das mächtiger ist als jede Armee. Etwas, das Zaren entthronen, ja sogar den Dunklen stürzen kann. Weißt du, wie dieses Etwas heißt?«
    Ich schüttelte den Kopf, während ich vor ihm zurückwich.
    Â»Glaube«, hauchte er und seine schwarzen Augen loderten. »Glaube.«
    Er wollte nach mir greifen. Ich zuckte zurück und stieß dabei das Wasserglas vom Nachttisch. Es zerbrach klirrend auf dem Fußboden. Schritte hallten im Flur, eilten auf uns zu. Der Asket trat von mir weg und verschmolz mit den Schatten.
    Die Tür flog auf und ein Heiler kam herein. Seine rote Kefta wehte hinter ihm her. »Alles in Ordnung?«
    Ich öffnete den Mund, ohne genau zu wissen, was ich sagen wollte. Aber der Asket war schon zur Tür hinausgeglitten.
    Â»Ich … es tut mir leid. Ich habe ein Glas zerbrochen.«
    Der Heiler rief eine Dienerin, die die Scherben auffegte. Er brachte mich wieder zu Bett und mahnte mich zur Ruhe. Doch sobald er weg war, setzte ich mich hin und entfachte die Lampe.
    Meine Hände zitterten. Ich hätte das Geschwätz des Asketen gern als Unsinn abgetan, aber das gelang mir nicht. Was, wenn die Menschen wirklich die Sonnenkriegerin anbeteten? Wenn sie von mir erwarteten, dass ich sie erlöste? Ich erinnerte mich an die düsteren Worte, die der Dunkle in der halb verfallenen Scheune gesprochen hatte: Das Zeitalter, in dem die Macht der Grischa alles beherrschte, neigt sich dem Ende entgegen. Ich dachte an die Volkra und all jene, die auf der Schattenflur ihr Leben verloren hatten. Ein geteiltes Rawka wird dem neuen Zeitalter nicht standhalten. Mein Versagen wäre nicht nur eine Enttäuschung für den Dunklen, Baghra oder mich selbst. Sondern für ganz Rawka.
    Als Genja am nächsten Morgen kam, erzählte ich ihr von dem Besuch des Asketen, aber sie schien sich weder wegen seiner Worte noch wegen seines

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