Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grischa: Goldene Flammen

Grischa: Goldene Flammen

Titel: Grischa: Goldene Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
Vom Netzwerk:
geseufzt, als der fünfte, sechste oder siebte Brief angekommen war?
    Ich wand mich innerlich. Bitte schreib mir, Maljen. Bitte vergiss mich nicht, Maljen.
    Lächerlich, dachte ich und wischte Tränen der Wut von meinen Wangen.
    Ich starrte auf den See, der allmählich zufror. Ich musste an den Bach denken, der sich durch das Anwesen von Herzog Keramsow schlängelte. Maljen und ich hatten jeden Winter darauf gewartet, dass er zufror, damit wir Schlittschuh laufen konnten.
    Ich zerknüllte Genjas Nachricht. Ich wollte nicht mehr an Maljen denken. Am liebsten hätte ich alle Erinnerungen an Keramzin ausgelöscht. Und am allerliebsten wäre ich jetzt in mein Zimmer gerannt, um mich auszuheulen. Aber das ging nicht. Stattdessen musste ich noch einen sinnlosen, elenden Vormittag mit Baghra verbringen.
    Ich schlenderte betont langsam am See entlang. Schließlich stampfte ich die Stufen zu Baghras Hütte hinauf und pochte gegen die Tür.
    Sie saß wie üblich vor dem Feuer, um ihren knochigen Körper zu wärmen. Ich ließ mich ihr gegenüber auf einen Stuhl fallen und wartete.
    Baghra lachte kurz und bellend. »Hast du heute schlechte Laune, Mädchen? Warum bist du so wütend? Hast du die Nase voll davon, auf deinen weißen Zauberhirsch zu warten?«
    Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg.
    Â»Nun red schon, Mädchen.«
    An jedem anderen Tag hätte ich ihr etwas vorgeflunkert, hätte behauptet, dass es mir gut gehe, dass ich einfach nur müde sei. Aber das Maß schien voll zu sein, denn ich fauchte wütend: »Alles widert mich an. Roggenbrot und Hering zum Frühstück widern mich an. Diese blöde Kefta widert mich an. Es widert mich an, von Botkin herumgescheucht zu werden, und Ihr – Ihr widert mich genauso an.«
    Ich hatte eine zornige Reaktion erwartet, aber sie sah mir nur ins Gesicht. Mit dem zur Seite geneigten Kopf und ihren schwarzen, im Feuerschein glitzernden Augen kam sie mir vor wie ein besonders gemeiner Spatz.
    Â»Nein«, sagte sie langsam. »Nein. Das ist nicht der Grund. Dich ärgert etwas anderes. Aber was? Hat das arme, kleine Mädchen vielleicht Heimweh?«
    Ich schnaubte. »Heimweh? Wonach?«
    Â»Woher soll ich das wissen, Mädchen? Was ist so schlecht an deinem Leben hier? Neue Kleider, ein weiches Bett, zu jeder Mahlzeit warmes Essen und außerdem bist du der Liebling des Dunklen.«
    Â»Ich bin nicht sein Liebling.«
    Â»Das möchtest du aber sein«, höhnte sie. »Hör auf, mich zu belügen. Du bist genau wie alle anderen. Ich habe doch gesehen, wie du ihn angeschaut hast.«
    Meine Wangen brannten und ich hätte ihr am liebsten den eigenen Stock über den Schädel gezogen.
    Â»Tausende von Mädchen würden ihre Mutter verkaufen, um mit dir zu tauschen. Trotzdem motzt und schmollst du wie ein Kleinkind. Also heraus damit, Mädchen. Wonach sehnt sich dein trauriges, kleines Herz?«
    Sie hatte natürlich Recht. Ich wusste genau, dass ich mich nach meinem besten Freund sehnte. Aber das würde ich ihr bestimmt nicht erzählen.
    Ich stand auf und mein Stuhl fiel klappernd auf den Boden. »Ich verschwende hier nur meine Zeit.«
    Â»Wirklich? Und womit willst du sonst die Zeit verbringen? Mit dem Kartenzeichnen? Indem du für einen alten, lahmen Kartografen Tinte holst?«
    Â»Kartenzeichnerin zu sein ist nichts Schlechtes.«
    Â»Natürlich nicht. Und eine Eidechse zu sein ist auch nichts Schlechtes. Außer, man wäre in Wahrheit als Falke geboren.«
    Â»Ich habe die Nase voll«, knurrte ich und kehrte ihr den Rücken zu. Ich war den Tränen nahe, wollte aber nicht vor dieser gehässigen Alten weinen.
    Â»Wohin gehst du?«, rief sie mir spöttisch nach. »Was wartet dort draußen auf dich?«
    Â»Nichts!«, schrie ich. »Niemand!«
    Sobald ich diese Worte ausgesprochen hatte, traf mich ihre Wahrheit so heftig, dass mir der Atem stockte. Ich packte den Türgriff, weil mir plötzlich schwindelig war.
    In diesem Augenblick kehrte die Erinnerung an die Prüfer der Grischa zurück.
    Ich stehe im großen Salon in Keramzin. Im Kamin brennt ein Feuer. Der stämmige Mann in Blau hält mich fest, zerrt mich fort von Maljen.
    Ich spüre, wie mir Maljens Finger entgleiten, wie mir seine Hand entrissen wird.
    Der junge Mann in Karmesinrot schnappt sich Maljen, schleift ihn in die Bibliothek, knallt die Tür

Weitere Kostenlose Bücher