Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grischa: Goldene Flammen

Grischa: Goldene Flammen

Titel: Grischa: Goldene Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
Vom Netzwerk:
aß und schlief, sah die Sache plötzlich anders aus. Botkin zwang mich zu brutalen Kampfübungen und endlos langen Dauerläufen auf dem Palastgelände, doch ich merkte, dass ich manche dieser Herausforderungen genoss. Ich entdeckte mit Freude, was mein neuer, kräftigerer Körper alles vermochte.
    Ich bezweifelte, dem alten Söldner je das Wasser reichen zu können, aber die Fabrikatoren gaben mir Schützenhilfe. Sie hatten ein fingerloses Handschuhpaar für mich angefertigt, das mit kleinen Spiegeln besetzt war – jenen geheimnisvollen Glasscheiben, die David mir an meinem allerersten Tag in den Werkstätten gezeigt hatte. Mit einem kurzen Ruck des Handgelenks konnte ich einen dieser Spiegel zwischen meine Finger gleiten lassen, und mit Botkins Erlaubnis erzeugte ich auf diese Weise tanzende Lichtblitze, die meine Gegner blendeten. Ich übte mit diesen Spiegeln, bis sie mir ganz natürlich und wie Erweiterungen meiner Finger vorkamen.
    Botkin blieb mürrisch und kritisch und beschimpfte mich bei jeder Gelegenheit als nutzlos, aber ich meinte, gelegentlich eine gewisse Anerkennung in seinen wettergegerbten Zügen ausmachen zu können.
    Gegen Ende des Winters nahm er mich nach einer langen Unterrichtseinheit beiseite. Es war mir tatsächlich gelungen, ihm einen Schlag auf die Rippen zu verpassen (er hatte ihn mir mit einem wuchtigen Schwinger gegen den Unterkiefer heimgezahlt).
    Â»Hier«, sagte er und überreichte mir ein schweres, stählernes Messer samt Lederscheide. »Immer du bei dir trägst.«
    Ich begriff, dass es kein gewöhnliches Messer, sondern eines aus Grischa-Stahl war. »Vielen Dank«, brachte ich hervor.
    Â»Nicht ›vielen Dank‹«, sagte er und tippte gegen die hässliche Narbe auf seiner Kehle. »Stahl ist verdient.«
    Ich genoss diesen Winter wie keinen zuvor. An sonnigen Nachmittagen lief ich Schlittschuh auf dem zugefrorenen See oder ging mit den anderen Beschwörern auf dem Palastgelände rodeln. Wir verbrachten die verschneiten Abende im Kuppelsaal, versammelten uns vor den Kachelöfen, tranken Kwass und stopften Süßigkeiten in uns hinein. Wir feierten das Fest des heiligen Nikolaj mit großen Mengen Kloßsuppe und Kutja mit Honig und Mohnsamen. Einige Grischa verließen den Palast, um im schneebedeckten Umland Os Altas Pferde- und Hundeschlitten zu fahren, ich aber durfte das Gelände aus Sicherheitsgründen weiterhin nicht verlassen.
    Das machte mir nichts aus. Unter den anderen Beschwörern fühlte ich mich inzwischen wohler, aber auf die Gesellschaft von Marie und Nadja legte ich keinen gesteigerten Wert. Da saß ich lieber mit Genja in meinem Zimmer, trank Tee und tauschte Klatschgeschichten aus. Ich genoss den Tratsch, der bei Hofe erzählt wurde, aber am unterhaltsamsten fand ich die Geschichten über die opulenten Feste im Großen Palast. Am schönsten fand ich die über eine riesige Pastete, die dem Zaren von einem Grafen geschenkt worden war und aus der ein Zwerg mit einem Strauß Vergissmeinnicht für die Tsaritsa gesprungen war.
    Zar und Zarin feierten das Ende des Winters immer mit einem großen Fest, an dem alle Grischa teilnahmen und von dem Genja behauptete, es sei das großartigste überhaupt. Jede Adelsfamilie und alle hochrangigen Hofbeamten seien dort, außerdem Kriegshelden, ausländische Würdenträger und auch der Zarewitsch, der älteste Sohn des Zaren und damit der Thronfolger. Ich hatte den Kronprinzen einmal gesehen, als er auf einem weißen Wallach, der in etwa die Größe eines Hauses hatte, auf dem Palastgelände ausgeritten war. Er wäre hübsch gewesen, wenn er nicht das fliehende Kinn seines Vaters geerbt hätte, und seine Lider waren so schwer, dass man nicht wusste, ob er nur müde oder unendlich gelangweilt war.
    Â»Wahrscheinlich betrunken«, sagte Genja, während sie in ihrem Tee rührte. »Er verbringt all seine Zeit mit der Jagd, mit Pferden und mit Saufgelagen. Das treibt die Zarin in den Wahnsinn.«
    Â»Rawka befindet sich im Krieg. Da sollte er sich wohl besser um Staatsangelegenheiten kümmern.«
    Â»Ach, das ist ihr egal. Sie will nur, dass er sich eine Braut sucht, anstatt in der ganzen Welt herumzutingeln und Berge von Gold für Fohlen auszugeben.«
    Â»Und sein Bruder?«, fragte ich, denn ich wusste, dass der Zar und die Zarin auch einen jüngeren Sohn hatten. Ihn hatte

Weitere Kostenlose Bücher