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Grischa: Goldene Flammen

Grischa: Goldene Flammen

Titel: Grischa: Goldene Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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hinter sich zu. Ich schlage und trete. Ich kann hören, wie Maljen meinen Namen ruft.
    Der andere Mann hält mich fest. Die Frau in Purpur ergreift mein Handgelenk. Plötzlich durchströmt mich ein Gefühl der Gewissheit.
    Ich höre auf zu strampeln. In meinem Inneren ertönt ein Ruf. Wie als Antwort steigt in mir etwas auf.
    Ich kann nicht mehr atmen. Ich habe das Gefühl, mich vom Grund eines Sees nach oben zu kämpfen, die Oberfläche fast erreicht zu haben. Meine Lungen schreien nach Luft.
    Die Frau in Purpur betrachtet mich eindringlich aus schmalen Augen.
    Ich höre Maljens Stimme hinter der Bibliothekstür. »Alina. Alina.«
    Da begreife ich. Ich begreife, dass ich anders bin als er. Schrecklich und unwiderruflich anders.
    Â»Alina. Alina!«
    Ich treffe eine Entscheidung. Ich ergreife das Ding in meinem Inneren und dränge es zurück.
    Â»Maljen!«, rufe ich und fange wieder an zu strampeln.
    Die Frau in Purpur hält weiter mein Handgelenk fest, aber ich schreie und winde mich, bis sie mich loslässt.
    Ich lehnte zitternd an der Tür von Baghras Hütte. Die Frau in Purpur war eine Kräftemehrerin gewesen – darum war mir der Ruf des Dunklen so vertraut vorgekommen. Aber ich hatte dem Ruf der Prüferin damals widerstehen können.
    Jetzt endlich begriff ich.
    Vor Maljens Ankunft war Keramzin ein Ort des Schreckens für mich gewesen. Ich hatte nächtelang im Dunkeln geweint, die älteren Kinder hatten mich links liegenlassen, die Räume waren kalt und leer gewesen. Nach Maljens Ankunft waren die finsteren Flure zu Orten geworden, an denen ich gespielt und mich versteckt hatte. Der einsame Wald war ein Ort für Entdeckungsreisen geworden. Keramzin war unser Palast, unser Reich geworden, und ich hatte keine Angst mehr gehabt.
    Die Prüfer der Grischa hätten mich mitgenommen. Sie hätten mir sowohl Keramzin als auch Maljen geraubt, und er war der einzige Lichtblick in meiner Welt gewesen. Deshalb hatte ich mich entschieden: Ich hatte die Macht zurückgedrängt und danach jeden einzelnen Tag mit aller Kraft unterdrückt, bis sie mir nicht mehr bewusst gewesen war. Um sie geheim zu halten, hatte ich meine wahre Persönlichkeit ausgelöscht.
    Ich erinnerte mich daran, wie wir die Abfahrt der Grischa vom Fenster aus beobachtet hatten, wie müde ich gewesen war. Am nächsten Morgen hatte ich die dunklen Ringe unter den Augen gehabt. Und seitdem waren sie nie verschwunden.
    Und nun?, fragte ich mich, am ganzen Körper zitternd, und drückte meine Stirn gegen das kühle Holz der Tür.
    Nun wollte Maljen nichts mehr von mir wissen.
    Der einzige Mensch auf der Welt, der mir wirklich nahe war, hatte beschlossen, dass ich keine einzige Zeile wert war. Aber ich gab ihn nicht auf. Trotz des Luxus im Kleinen Palast, trotz meiner neu entdeckten Macht und trotz Maljens Schweigen wollte ich ihn nicht aufgeben.
    Baghra hatte Recht. Ich hatte geglaubt, mich nach Kräften zu bemühen, aber tief in meinem Inneren wollte etwas zurück zu Maljen. Irgendetwas in mir hoffte, dass dies ein Missverständnis war, dass der Dunkle seinen Irrtum einsehen und mich zu meinem Regiment zurückschicken, dass Maljen begreifen würde, wie sehr er mich vermisst hatte, dass wir auf unserer Wiese gemeinsam alt werden würden. Maljen hatte sich weiterentwickelt, aber ich stand immer noch ängstlich vor den drei geheimnisvollen Gestalten und klammerte mich an seine Hand.
    Ich musste sie loslassen. Maljen hatte auf der Schattenflur mein Leben gerettet und ich das seine, und vielleicht war das der Schlussstrich unter unsere gemeinsame Zeit gewesen.
    Dieser Gedanke erfüllte mich mit Trauer. Ich trauerte um unsere gemeinsamen Träume, um die Liebe, die ich für ihn empfunden hatte, um das fröhliche Mädchen, das ich nun nie mehr wäre. Diese Trauer durchströmte mich und löste einen Knoten in mir, dessen Existenz mir nie bewusst gewesen war. Ich schloss die Augen, spürte, wie Tränen über meine Wangen strömten, und ich tastete nach dem Etwas, das ich so lange in mir versteckt hatte. Es tut mir leid , flüsterte ich.
    Es tut mir leid, dass ich dich so lange im Dunkeln gelassen habe.
    Es tut mir leid, aber jetzt bin ich bereit.
    Ich rief und das Licht antwortete. Ich spürte, wie es aus allen Richtungen auf mich zuschoss, über den See und die goldenen Kuppeln des Kleinen Palastes sauste, durch Wände und Tür

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