Grisham, John
Sicherheit die Anwesenheit vieler renommierter Anwälte, die
allesamt darauf brannten, ihren Standpunkt zu erläutern. Die Sache konnte also
dauern. Nachdem offenkundig jeder offizielle Parkplatz in Lower Manhattan
besetzt war und er klare Anweisung hatte, immer weiterzufahren, blieb ihm
nichts anderes übrig, als Benzin zu verbrennen. Er fing an, nach einer
Tankstelle Ausschau zu halten. Für die Tankfüllung würde der Mandant aufkommen,
und Bard würde sich freuen.
Nachdem er getankt hatte, überlegte er, womit er weitere Pluspunkte sammeln
konnte. Eine schnelle Autowäsche? Ein Ölwechsel? Als er zum siebten oder achten
Mal am Gericht vorbeikam, breitete ein Brezelverkäufer bei seinem Anblick die
Arme aus und sagte so etwas wie" Bist du völlig übergeschnappt,
Mann?"
Kyle ließ sich nicht beeindrucken. Er entschied sich gegen Autowäsche und
Ölwechsel.
Da
er den Verkehr mittlerweile im Griff hatte, nahm er das Telefon und rief Dale
an. Sie antwortete beim dritten Klingeln. "Ich bin in der
Bibliothek", sagte sie mit gedämpfter Stimme. "Alles in
Ordnung?"
"Ja."
"Da
habe ich aber was anderes gehört."
Eine
Pause. "Ich habe seit zwei Nächten nicht mehr geschlafen. Allmählich
bekomme ich Wahnvorstellungen."
"Du
klingst furchtbar."
"Wo
bist du?"
"Ich
fahre gerade mit dem neuen Jaguar von Noel Bards Frau durch die Leonard Street.
Und ich telefoniere."
"Die
Frage war wohl überflüssig. Wie war die Beerdigung?"
"Furchtbar.
Lass uns heute Abend essen gehen. Ich muss irgendwem mein Herz
ausschütten."
"Heute
Abend will ich nur noch nach Hause und schlafen."
"Du
musst was essen. Ich hole uns was vom Chinesen, wir trinken ein Glas Wein und
schlafen zusammen ein. Ganz ohne Sex. Das kennen wir doch schon."
"Mal
sehen. Ich muss hier raus. Bis später."
"Meinst
du, du schaffst es?"
"Eher
nicht."
Um elf Uhr gratulierte sich Kyle dazu, dass er dem Mandanten achthundert Dollar
für seine Fahrten um den Block in Rechnung stellen konnte. Dann musste er über
sich selbst lachen.
Wie
er, der ehemalige Chefredakteur des Yale Law Journal, den Stop-and-go-Verkehr
und das ständige Abbiegen meisterte, den Taxis auswich und dabei seine Umgebung
im Auge behielt das war das Leben eines erfolgreichen Wall-Street-Anwalts.
Wenn
ihn sein Vater hätte sehen können!
Um
11.40 Uhr klingelte das Telefon. "Wir kommen gerade aus dem
Gerichtssaal", sagte Bard. "Was ist denn mit Ihnen passiert?"
"Ich
konnte keinen Parkplatz finden."
"Wo
sind Sie jetzt?"
"Zwei
Häuserblocks vom Gericht entfernt."
"Holen
Sie uns da ab, wo Sie uns abgesetzt haben."
"Mit
Vergnügen."
Minuten
später fuhr Kyle wie ein Profi vor dem Gericht vor, und seine beiden Passagiere
sprangen in den Fond. "Wohin?", fragte er, als er losfuhr.
"Zum
Büro", lautete Peckhams knappe Antwort.
Einige Minuten lang herrschte Stille. Kyle rechnete damit, mit Fragen gelöchert
zu werden. "Wo waren Sie, Kyle? Warum haben Sie die Anhörung verpasst,
Kyle?" Aber nichts dergleichen. Enttäuscht stellte er fest, dass ihn
niemand vermisst hatte.
"Wie
war die Anhörung?", fragte er schließlich, um sich bemerkbar zu machen.
"Gar
nicht", erwiderte Peckham. "Welche Anhörung?", fragte Bard.
"Was
haben Sie denn seit neun Uhr gemacht?", wollte Kyle wissen.
"Darauf
gewartet, dass sich der ehrenwerte Theodore Hennessy von seinem Kater erholt
und uns mit seiner Anwesenheit beehrt."
"Die
Anhörung wurde um zwei Wochen vertagt", sagte Peckham.
Als
sie im einunddreißigsten Stock aus dem Aufzug stiegen, vibrierte Kyles Telefon.
Tabor hatte ihm eine SMS geschickt. "Komm schnell zur Box. Notfall."
Tabor eilte ihm schon an der Treppe entgegen. "Wie war's im Gericht?"
"Super.
Ich liebe Prozesse. Was ist los?" In flottem Tempo marschierten sie durch
den Gang und an Sandra, der Sekretärin, vorbei.
"Es
geht um Dale", flüsterte Tabor. "Sie ist ohnmächtig geworden,
zusammengebrochen, hat das Bewusstsein verloren."
"Wo
ist sie?"
"Ich
habe die Leiche verschwinden lassen."
Dale lag friedlich auf einem Schlafsack, der halb unter Tabors Schreibtisch
versteckt war. Ihre Augen standen offen, und sie schien ansprechbar, aber ihr
Gesicht war sehr blass.
"Sie
ist am Dienstag um fünf aufgestanden und hat seitdem nicht geschlafen. Das sind
etwa fünfundfünfzig Stunden, könnte ein neuer Rekord werden."
Kyle kniete sich neben sie und griff vorsichtig nach ihrem Handgelenk.
"Alles in Ordnung?"
Sie
nickte, aber es wirkte nicht sehr
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