Grisham, John
Besprechungszimmer, in dem Dutzende
von Anwälten auf die Aussage warten, und was tut Harvey Wayne?"
"Was?"
"Eine
der Türen zum Nachbarraum schließt nicht richtig und schwingt ständig hin und
her, und da sagt mir dieser Fettsack doch tatsächlich, ich soll die Ordner als
Türstopper auf dem Boden stapeln. Das tue ich natürlich, und als ich das Zimmer
verlasse, höre ich ihn sagen, Harvard-Absolventen seien die besten
Hilfskräfte."
"Wie
viel Kaffee hast du intus?"
"Das
ist mein zweiter."
"Ich
bin noch beim ersten, und ich muss dringend das Memo hier rausschicken."
"Tut
mir leid. Sag mal, hast du Dale gesehen?"
"Nein.
Ich bin am Dienstagnachmittag weg, weil ich gestern zur Beerdigung musste.
Stimmt was nicht?"
"Die
haben ihr am Dienstagabend ein grauenhaftes Projekt aufgehalst, und ich glaube
nicht, dass sie seitdem geschlafen hat. Wir behalten sie besser im Auge."
"Geht
klar."
Um 8.30 Uhr verließ Kyle gemeinsam mit Doug Peckham und einem älteren Kollegen
namens Noel Bard das Büro. Sie marschierten in flottem Tempo zu einem Parkhaus
ein paar Blocks weiter, wo ein Angestellter Bards neuen Jaguar holte.
"Kyle,
Sie fahren. Wir wollen zum Foley Square", sagte Peckham.
Kyle hätte gern protestiert, verkniff sich aber jede Bemerkung. Bard und
Peckham stiegen hinten ein und ließen Kyle als Chauffeur allein vorn sitzen.
"Ich
weiß nicht, wie ich da am besten hinkomme", gab Kyle zu, dem etwas mulmig
war bei dem Gedanken, was passieren würde, wenn die beiden hohen Tiere im Fond
zu spät zu ihrem Gerichtstermin erschienen, weil er sich verfahren hatte.
"Bleiben
Sie auf der Broad Street, die wird zur Nassau Street, und die führt direkt zum
Foley Square." Es klang, als würde Bard die Strecke jeden Tag fahren.
"Und seien Sie vorsichtig. Der Wagen ist brandneu und hat mich
einhunderttausend Dollar gekostet. Außerdem gehört er meiner Frau."
Kyle konnte sich nicht erinnern, am Steuer eines Autos je so nervös gewesen zu
sein. Nachdem er endlich herausgefunden hatte, wie die Spiegel eingestellt
wurden, fädelte er sich in den Verkehr ein, wobei er hektische Blicke in alle
Richtungen warf.
Zu allem Überfluss war Peckham nach Reden zumute. "Kyle, ich habe hier ein
paar Namen für Sie. Alles Leute, die mit Ihnen angefangen haben. Darren
Bartkowski."
Kyle wartete, ohne sich im Rückspiegel nach Peckham umzusehen. "Ja?",
fragte er schließlich.
"Kennen
Sie den?"
"Natürlich.
Ich kenne alle Berufseinsteiger aus der Prozessabteilung."
"Was
halten Sie von ihm? Haben Sie mit ihm gearbeitet? Ist er gut oder schlecht?
Reden Sie mit mir, Kyle. Wie schätzen Sie ihn ein?"
"Äh,
netter Kerl. Ich kenne ihn aus Yale."
"Beruflich,
Kyle. Wie ist seine Arbeit?"
"Ich
habe noch nicht mit ihm gearbeitet."
"Er
soll ein Nichtstuer sein. Geht den Partnern aus dem Weg, hält seine Termine
nicht ein, schreibt zu wenig Stunden auf."
Vielleicht schätzt er seine Stunden, dachte Kyle, aber die gelben Taxis, die
ihn überholten, abrupt die Spur wechselten und plötzlich abbogen, ohne sich um
die Straßenverkehrsordnung zu scheren, erforderten seine volle Konzentration.
"Haben
Sie auch gehört, dass er ein Nichtstuer ist, Kyle?"
"Ja",
gab Kyle widerstrebend zurück. Es war die reine Wahrheit.
Bard beschloss, ebenfalls über den armen Bartkowski herzuziehen. "Keiner
von den Anfängern hat so wenig Stunden in Rechnung gestellt."
Schlecht über Kollegen zu reden war in der Kanzlei gang und gäbe, und die
Partner nahmen dabei genauso wenig ein Blatt vor den Mund wie die anderen
Anwälte. Ein Neuling, der es sich so einfach wie möglich machte und einen Bogen
um unangenehme Aufgaben schlug, galt schnell als Nichtstuer. Dieser Ruf blieb
einem erhalten. Doch den meisten Nichtstuern war das egal. Sie arbeiteten
weniger als die anderen, bekamen dasselbe Gehalt und wurden höchstens gefeuert,
wenn sie einen Mandanten bestahlen oder in einen Sexskandal verwickelt wurden.
Ihr Bonus blieb klein, aber das spielte bei der großzügigen Bezahlung kaum eine
Rolle. Professionelle Nichtstuer konnten sich sechs oder sieben Jahre in einer
Kanzlei halten, bevor ihnen mitgeteilt wurde, dass sie es nie zum Partner
bringen würden und sich nach einer anderen Stelle umsehen müssten.
"Was
ist mit Jeff Tabor?", fragte Peckham.
"Den
kenne ich gut. Ganz bestimmt kein Nichtstuer."
"Angeblich
ein Streber", sagte Peckham.
"Das
ist er allerdings. Ehrgeizig, aber fair."
"Sie
mögen ihn, Kyle?"
"Ja.
Tabor ist ein netter Kerl.
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