Grisham, John
anzumerken, und John sprach weiter.
"Nein, Kyle hat mir damals nichts davon erzählt. Er hatte es vor, aber
dann wurde die Sache eingestellt. Ich bin sehr enttäuscht darüber, weil wir uns
eigentlich nahe stehen, aber das spielt keine Rolle. Wenn ich richtig
unterrichtet bin, haben Sie und Ms Keenan sich vor ein paar Wochen hier in
Scranton mit Joey Bernardo getroffen. Joeys Schilderung zufolge war die
Begegnung kein großer Erfolg. Ich weiß auch, dass Baxter Tate mit Ihrer
Mandantin Kontakt aufgenommen hatte und offenbar hierher unterwegs war, um mit
ihr zu sprechen, als er ermordet wurde."
"Das
ist richtig."
"Die
beiden waren verabredet."
"Ja."
"Es
sieht also so aus, als würde nicht einfach Gras über diese Episode, die vor
fünfeinhalb Jahren geschah, wachsen. Mein Mandant möchte die Sache klären und
abschließen. Sie hängt wie ein Damoklesschwert über den jungen Leuten, und ich
möchte herausfinden, welche Lösungsmöglichkeiten es gibt. Die anderen wissen
nichts von diesem Treffen. Die Familie Tate hat natürlich keine Ahnung, und Sie
können sich vorstellen, was sie im Augenblick durchmacht. Joeys Verlobte
erwartet ein Kind, und er steht kurz vor der Hochzeit. Soweit uns bekannt ist,
scheint Alan Strock den Vorfall vergessen zu haben."
Mike hatte nicht einmal nach einem Stift gegriffen. Sie lauschte aufmerksam und
schlug dabei alle zehn Fingerspitzen leicht gegeneinander. An den meisten
Fingern steckten Ringe, und eine Vielzahl billiger Armreife schmückte beide
Handgelenke. Ihre harten braunen Augen zeigten keine Regung.
"Ich
bin mir sicher, Sie haben sich etwas überlegt." Offenbar wollte sie erst
hören, was er anzubieten hatte.
"Ich
weiß nicht recht, was Ihre Mandantin möchte. Vielleicht wäre es ihr am
liebsten, wenn die drei eine Vergewaltigung gestehen, verurteilt werden und ins
Gefängnis wandern. Möglicherweise würde sie sich mit einer diskreten
Entschuldigung begnügen. Denkbar wäre natürlich auch ein finanzieller
Ausgleich. Vielleicht können Sie mir mehr dazu sagen."
Mike fuhr sich mit der Zunge über die geschminkten Lippen und ließ die Armreife
klirren. "Ich kenne Elaine seit zwei Jahren. Ihre Vergangenheit war
schwierig. Sie ist zerbrechlich, verletzlich und manchmal sehr düsterer
Stimmung. Vielleicht ist sie depressiv. Seit fast einem Jahr ist sie trocken,
aber sie hatte Alkoholprobleme. Für mich ist sie fast wie eine Tochter, und sie
hat von Anfang an immer von einer Vergewaltigung gesprochen. Ich glaube ihr.
Sie ist überzeugt, dass sich die Tates eingeschaltet und Druck auf Freunde
ausgeübt haben, die wiederum die Polizei unter Druck setzten. Daher die
schnelle Einstellung."
John schüttelte den Kopf. "Das stimmt nicht. Keiner der vier Jungen hat
seine Eltern eingeweiht."
"Mag
sein, aber das wissen wir nicht mit Sicherheit. Auf jeden Fall rühren viele von
Elaines Problemen aus dieser Zeit. Sie war eine gesunde, lebenslustige
Studentin voller Energie, die das College liebte und große Pläne hatte. Kurz
nach der Vergewaltigung brach sie ihr Studium ab. Seitdem hat sie schwer zu
kämpfen."
"Kennen
Sie ihre Noten von der Duquesne University?"
"Nein."
"Im
ersten Semester fiel sie in einem Kurs durch, brach einen anderen ab und
erzielte in den übrigen drei Noten, die unter aller Kanone waren."
"Wie
sind Sie an ihre Unterlagen gekommen?"
"Im
zweiten Semester verbesserte sie sich leicht und bekam überall befriedigende
Ergebnisse. Sie legte alle vier Prüfungen nach der angeblichen Vergewaltigung
ab, fuhr heim und kehrte nie an die Duquesne zurück."
Mike zog die Brauen hoch und sah aus, als hätte sie einen Stock verschluckt.
"Wie sind Sie an die Unterlagen gekommen?", fauchte sie. Aha, die
Frau hatte doch Temperament.
"Bin
ich nicht, und das spielt auch keine Rolle. Wie oft erzählen Ihnen Ihre
Mandanten die volle Wahrheit?"
"Wollen
Sie unterstellen, dass Elaine lügt?"
"Die
Wahrheit ist hier nicht so einfach festzumachen, Mike. Sicher ist, dass wir nie
genau wissen werden, was in jener Nacht passiert ist. Die jungen Leute hatten
acht Stunden hintereinander getrunken und Pot geraucht, und sie waren sexuell
wesentlich aktiver, als wir uns das wünschen würden. Ihre Mandantin hatte einen
gewaltigen Männerverschleiß."
"Da
war sie nicht die Einzige. Das ist keine Entschuldigung für eine Vergewaltigung."
"Natürlich
nicht."
Das Wort "Geld" lag in der Luft. Es waren noch einige Hindernisse
auszuräumen, aber die bei den Anwälte
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