Grisham, John
Person kennt er nicht. Er war ihr nie begegnet, bis sie ihm
das Video präsentierte."
"Verstehe.
Ich nehme an, dahinter steckt eine komplizierte Geschichte."
"Extrem
kompliziert."
"Ein
Unbekannter taucht auf, zeigt Ihrem Sohn das Video und verschwindet
wieder?"
"So
ungefähr, bis auf das mit dem Verschwinden. Der Unbekannte steht immer noch in
Kontakt mit ihm."
"Erpressung?
"
"So
ähnlich."
"Und
deswegen sind Sie hier? Ihr Mandant hat Angst vor dem Video? Sie wollen mit uns
Frieden schließen, um der Erpressung die Grundlage zu entziehen?"
"Sie
sind eine kluge Frau."
Sie zuckte immer noch nicht mit der Wimper. Im Augenblick schien sie seine
Gedanken zu lesen.
"Das
muss ja ein höchst eindrucksvolles Video sein", meinte sie.
"Mein
Mandant fand es extrem unangenehm, obwohl er bei den Sexszenen gar nicht dabei
war. Das Video zeigt Ihre Mandantin eindeutig dabei, wie sie auf dem Sofa zur
Sache geht. Ob sie irgendwann einen Filmriss hatte, ist nicht klar, zumindest
lässt es sich aus dem Video nicht definitiv erschließen."
"Sie
läuft herum, redet, bewegt sich?"
"Ja.
Die Jungen haben sie nicht auf der Straße aufgelesen, Mike. Sie war oft in der
Wohnung, betrunken und nüchtern."
"Das
arme Ding", sagte Mike. Ihr erster Fehler.
"Das
arme Ding amüsierte sich hervorragend. Sie schleppte einen Sack voller Drogen
und eine Sammlung gefälschter Ausweise mit sich herum und hielt immer nach der
nächsten Party Ausschau."
Mike erhob sich langsam. "Entschuldigen Sie mich einen Augenblick."
Sie ging in ihr Büro, was John erfreuliche Ausblicke auf den schwarzen Lederrock
verschaffte. Er hörte sie leise reden, vermutlich am Telefon, und schließlich
kehrte sie mit einem gezwungenen Lächeln zurück.
"Wir
könnten das stundenlang diskutieren", sagte sie. "Ohne zu irgendeiner
Lösung zu kommen."
"Da
bin ich ganz Ihrer Meinung. Baxter war vor drei Wochen in New York, um mit
meinem Mandanten zu reden. Bei einem langen Gespräch über die Ereignisse von
damals stellte sich heraus, dass er glaubte, sich Elaine aufgedrängt zu haben.
Er litt unter starken Schuldgefühlen. Vielleicht handelte es sich um sexuelle
Nötigung."
"Aber
der Vergewaltiger ist tot."
"Genau.
Allerdings war mein Mandant dabei, als es geschah. Es war seine Wohnung, es
waren seine Freunde, seine Party, sein Alkohol. Er will mit der Sache
abschließen."
"Wie
viel?"
John brachte ein nervöses Lachen zustande. Direkter ging es nicht. Sie verzog
keine Miene.
Er machte sich eine Notiz. "Können wir uns auf einen finanziellen
Ausgleich dafür einigen, dass Ihre Mandantin auf alle zivilrechtlichen
Ansprüche verzichtet und sich verpflichtet, keine Strafanzeige zu
stellen?"
"Ja,
wenn der finanzielle Ausgleich entsprechend ausfallt." Eine Pause trat
ein, während sich John weitere Notizen machte. "Mein Mandant hat nicht
viel Geld."
"Ich
weiß, was für ein Gehalt Ihr Mandant bekommt. Ich bin seit zwanzig Jahren
Anwältin, und er verdient mehr als ich."
"Und
als ich, nach fünfunddreißig Jahren. Aber er muss seine Studienkredite
zurückzahlen, und das Leben in New York ist nicht billig. Wahrscheinlich werde
ich einspringen müssen, und ich bin nicht reich. Ich habe keine Schulden, aber
eine Kanzlei mit Laufkundschaft in York ist nicht gerade eine Goldgrube."
Seine Offenheit war entwaffnend, und sie lächelte und schien ein wenig
aufzutauen. Sie tauschten Anekdoten über die Fußangeln des Lebens als Anwalt im
kleinstädtischen Amerika aus eine nette Abwechslung.
"Erzählen
Sie mir von Elaine", sagte John herzlich, als das Thema erschöpft war.
"Job, Gehalt, Finanzen, Familie und so."
"Wie
gesagt, sie arbeitet hier für ein Taschengeld. Außerdem ist sie bei der Stadt
für die Pflege der Grünflächen zuständig und verdient damit etwa
vierundzwanzigtausend Dollar im Jahr, nichts, womit sie Karriere machen könnte.
Sie wohnt mit ihrer Lebensgefährtin Beverly in einer bescheidenen Mietwohnung
und fahrt einen auf Kredit gekauften Nissan. Ihre Familie stammt aus Erie. Ich
weiß nicht, wie wohlhabend sie früher einmal war, aber jetzt sieht es schlecht
aus. Elaine ist dreiundzwanzig, auf sich allein gestellt und schlägt sich eben
so durch. Sie träumt davon, irgendwann aus dieser Situation
herauszukommen."
John machte sich erneut Notizen. "Gestern habe ich mit einem Anwalt der
Familie Tate gesprochen, jemandem von einer großen Kanzlei in Pittsburgh.
Baxter bekam monatlich sechstausend Dollar aus einem
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