Grisham, John
lang nicht in Panik geraten, aber mittlerweile stehe ich kurz
davor."
"Nein,
das tun Sie nicht. Bleiben Sie ruhig. Wir müssen diesen Leuten vertrauen."
"Ich
rufe Sie morgen an." Kyle griff nach seinem braunen Trenchcoat und verließ
das Büro.
Kapitel
36
Die Cessna 182 gehörte einem Arzt im Ruhestand, der nur bei klarem Wetter und
grundsätzlich nicht bei Nacht flog. Er kannte John McAvoy seit über vierzig
Jahren und hatte ihn mehrfach zu Geschäftsterminen innerhalb von Pennsylvania
geflogen. Diese kleinen Ausflüge, bei denen John Kopfhörer trug, gelegentlich
das Steuer übernahm und seine Zeit als Pilot von Herzen genoss, waren mehr
Vergnügen als Geschäft. Sie stritten sich immer um den Preis. John wollte mehr
bezahlen als den Kraftstoff, und der Arzt verlangte weniger, weil Fliegen sein
Hobby war und er das Geld nicht brauchte. Nachdem sie sich auf
zweihundertfünfzig Dollar geeinigt hatten, trafen sie sich früh am
Dienstagmorgen am Flughafen von York und hoben bei idealem Wetter ab.
Einundsiebzig Minuten später landeten sie in Scranton. John mietete ein Auto,
und der Arzt flog mit der Cessna weiter nach Williamsport, um seinen Sohn zu
besuchen.
Die Kanzlei von Michelin Chiz war im ersten Stock eines alten Gebäudes in der
Spruce Street im Zentrum von Scranton untergebracht. John McAvoy erschien
pünktlich um neun Uhr und wurde von einer Sekretärin kühl begrüßt. Er war Ms
Chiz nie begegnet, hatte nie von ihr gehört, aber das war in einem Bundesstaat
mit über sechzigtausend Anwälten nicht ungewöhnlich. Ein ihm bekannter Anwalt
aus Scranton hatte ihm erzählt, sie beschäftige in ihrer Kanzlei nur Frauen:
mehrere Anwältinnen und Assistentinnen sowie das übliche Team von Sekretärinnen
und Teilzeitkräften. Männer brauchten sich gar nicht erst zu bewerben. Ms Chiz
hatte sich auf Scheidung, Sorgerecht, sexuelle Belästigung und Diskriminierung
am Arbeitsplatz spezialisiert. Dabei vertrat sie stets die Seite der Frauen und
fuhr damit recht gut. Sie genoss einen soliden Ruf. Sie kämpfte mit harten
Bandagen für ihre Mandantinnen, war eine gute Verhandlungsführerin und hatte
keine Angst vor dem Gerichtssaal. Außerdem sah sie nicht schlecht aus, wie der
Anwalt John mitgeteilt hatte.
Damit hatte er sich nicht geirrt. Ms Chiz wartete in ihrem Büro, als John
hereinkam und ihr einen guten Morgen wünschte. Sie trug einen nicht zu kurzen
schwarzen Lederrock mit einem engen lila Pullover und hinten offene
schwarz-lila High Heels mit Plateausohlen, an die sich die meisten Nutten nicht
herangewagt hätten. Sie war Mitte vierzig und, Johns Quelle zufolge, zweimal
geschieden. Für Johns Geschmack trug sie viel zu viel Schmuck und Make-up, aber
er war nicht gekommen, um ihren Stil zu beurteilen.
Er selbst hatte sich für einen langweiligen grauen Wollanzug und eine schlichte
rote Krawatte entschieden, nichts, an das sich irgendwer erinnern würde.
Sie ließen sich an einem kleinen Arbeitstisch in einem an ihr Büro angrenzenden
Raum nieder, und die Sekretärin wurde gebeten, Kaffee zu bringen. Ein paar
Minuten lang suchten sie nach gemeinsamen Bekannten und warfen mit Namen von
Anwälten zwischen Philadelphia und Erie um sich.
"Kommen
wir zum Geschäft", sagte Ms Chiz, nachdem die Sekretärin den Kaffee
serviert und die Tür hinter sich geschlossen hatte.
"Gute
Idee", stimmte er zu. "Bitte nennen Sie mich John."
"Gern.
Ich bin Mike. Keine Ahnung, ob das die richtige Abkürzung für Michelin ist,
aber ich werde schon ewig so genannt."
"Also
Mike." Obwohl sie bisher ganz die charmante Gastgeberin gewesen war, war
John klar, dass sich hinter dem Lächeln eine knallharte Anwältin verbarg.
"Wollen Sie anfangen?"
"Nein.
Sie haben mich angerufen. Sie sind hergekommen. Sie wollen etwas von mir, also
sagen Sie mir, was."
"Gern.
Mein Mandant ist mein Sohn, nicht gerade die ideale Situation, aber so ist es
eben. Wie Sie wissen, arbeitet er bei einer Kanzlei in New York. Jurastudium in
Yale, Grundstudium an der Duquesne University. Die Einzelheiten der angeblichen
Vergewaltigung sind Ihnen sicher bekannt."
"Allerdings.
Elaine hat hier eine Teilzeitstelle, und wir sind gut befreundet. Sie möchte
irgendwann Jura studieren."
"Dann
wünsche ich ihr viel Erfolg. Wie Ihnen bekannt ist, wurden die Ermittlungen in
Pittsburgh sehr schnell wieder eingestellt. Ehrlich gesagt, wusste ich bis vor
kurzem nichts von der Sache."
Die Überraschung war ihr deutlich
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