Grisham, John
arbeiten."
"Kein
Grund für ein schlechtes Gewissen, Kyle", sagte Peckharn schnell und
sachlich. "Sie haben zu viel Potenzial für so was. Ihre Zukunft liegt
hier." Er spreizte die Arme, als würde ihm ein riesiges Reich unterstehen.
Es war ein hübsches Büro, vergleichsweise groß, aber kein Königreich.
"Ich
würde gern in der Prozessabteilung arbeiten."
"Da
sehe ich kein Problem. Bei Ihrem Praktikum im letzten Sommer ist alles super
gelaufen. Wir waren beeindruckt. Ich kümmere mich persönlich darum. Aber Sie
wissen, dass die Prozessabteilung nicht jedermanns Sache ist."
Das sagten sie alle. Die durchschnittliche berufliche Laufbahn eines
Prozessanwalts dauerte fünfundzwanzig Jahre. Die Arbeit war extrem stressig,
der Druck immens. Peckham mochte einundvierzig sein, konnte aber auch locker
für fünfzig durchgehen. Völlig ergraut, dunkle Ringe unter den Augen,
Pausbacken, zu große Rettungsringe um die Hüften. Vermutlich hatte er seit
Jahren keinen Sport getrieben.
"Meine
Deadline ist abgelaufen", sagte Kyle. "Wann?"
"Vor
einer Woche."
"Kein
Problem. Sie sind Chefredakteur des Yale Law Journal, da räumen wir gern etwas
mehr Bedenkzeit ein. Ich werde mit Woody von der Personalabteilung reden und
die Sache klären. Wir sind sehr zufrieden mit unseren Neueinstellungen. Die
besten Grünschnäbel seit Jahren, und Sie sind dabei." Auch das sagten sie
alle. Jedes Jahr in jeder großen Kanzlei. "Danke. Und wie gesagt, ich
würde wirklich gern in der Prozessabteilung arbeiten."
"Hab
ich verstanden, Kyle. Betrachten Sie das als erledigt." Damit schaute
Peckham auf die Uhr, das Treffen war beendet. Das Telefon klingelte, von der
anderen Seite der Tür hörte man gedämpfte Stimmen. Als Kyle sich mit Handschlag
verabschiedete, musste er daran denken, dass er kein zweiter Doug Peckham
werden wollte. Er hatte keine Ahnung, was er werden wollte - wenn die Zukunft
etwas anderes bereithielt als den Entzug der Anwaltszulassung -, aber er hatte
nicht vor, seine Seele zu verkaufen, um Partner bei Scully & Pershing zu
werden.
Vor der Tür warteten die nächsten Junioranwälte, kaum älter als er,
businessmäßig gekleidet. Selbstgefällig, gehetzt, nervös betraten sie die Höhle
des Löwen. Schon als sich die Tür schloss, wurde Peckham laut. Was für ein
Leben. Und dies war noch ein lockerer Tag. Wirklich ernst wurde es im
Gerichtssaal.
Während Kyle mit dem Lift ins Erdgeschoss fuhr, wurde ihm die Absurdität dessen
bewusst, was ihn erwartete. Wenn er demnächst die Büros von Scully &
Pershing verließ und wie Hunderte andere mit dem Lift nach unten fuhr, sollte
er auf irgendeine Weise geheime Informationen nach draußen schmuggeln, die
nicht ihm, sondern der Kanzlei und in erster Linie deren Mandanten gehörten.
Und diese wertvollen Informationen sollte er an Bennie Wright weitergeben, oder
wie immer er hieß, sie ihm in die zu stark behaarten Hände drücken. Und der
würde sie gegen die Kanzlei und ihre Mandanten verwenden.
Verdammt schlechter Scherz, dachte er. Er war mit vier anderen im Aufzug. Auf
seiner Stirn standen Schweißperlen.
Darauf also läuft mein Leben hinaus. Entweder komme ich in Pennsylvania wegen
Vergewaltigung in den Knast oder in New York, weil ich geheime Informationen
geklaut habe. Warum gibt es keinen dritten Weg? Vier Jahre College, drei Jahre
Yale, sieben ziemlich erfolgreiche Jahre. Ich habe die beste akademische
Visitenkarte und werde ein bestens bezahlter Dieb.
Und weit und breit niemand, mit dem er darüber reden konnte.
Er
wollte raus. Aus dem Aufzug, dem Gebäude, der Stadt.
Wollte
dieser Zwangslage entkommen. Er schloss die Augen, weiter in sein
Selbstgespräch vertieft.
In
Pennsylvania gab es Beweise, nicht aber in New York.
Und
doch, er war sich sicher, dass man ihn schnappen würde. Schon Monate vor dem
ersten Vergehen war ihm klar, dass man ihn erwischen würde.
Zwei Straßenecken weiter fand er einen Coffeeshop. Er setzte sich auf einen
Barhocker am Fenster und blickte lange ziemlich verzweifelt auf 110 Broad,
jenen Bürofürm, der bald sein Zuhause sein würde. Sein Gefängnis. Er kannte die
Zahlen, die Statistiken. Scully & Pershing würde weltweit einhundertfünfzig
Jungjuristen einstellen, davon einhundert allein in New York. Man würde ihnen
ein hübsches Gehalt zahlen, das auf einen Stundenlohn von einhundert Dollar
hinauslief, den betuchten Mandanten für die Arbeit der Junioranwälte aber ein
Vielfaches davon abknöpfen. Wie von allen
Weitere Kostenlose Bücher