Grisham, John
wir ein
paar
Tage zusammen abhängen könnten. Aber bitte
ohne
Freundin. Schreib mir per Post an diesen Absender. Keine E-Mail, kein Telefon.
Ich erklär's Dir später.
Liebe
Grüße Kyle'
Er
hatte den Brief mit der Hand geschrieben und vom Büro des Yale Law Journal aus
abgeschickt. Eine Woche später kam die Antwort.
'Hi
Kyle,
warum
die Schneckenpost? Deine Handschrift ist echt
eine
Katastrophe. Aber wahrscheinlich immer noch besser
als
meine. Klar komme ich zu deiner Abschlussfeier, wird bestimmt nett. Was zum
Henker ist so geheim, dass wir nicht telefonieren oder mailen können? Spinnst
Du jetzt total? Baxter spinnt auf jeden Fall. Er ist übrigens von der
Bildfläche verschwunden. Wenn wir nichts unternehmen, ist er in einem Jahr tot.
O Mann, meine Hand tut schon weh, ich komme mir vor wie so ein alter Knacker,
der noch mit Füller schreibt. Bin schon gespannt auf Dein nächstes Briefchen.
Liebe
Grüße Joey '
Kyles
Antwort war ausführlicher und mit Details gespickt. Joeys Reaktion darauf troff
vor Sarkasmus und enthielt noch mehr Fragen. Kyle warf den Brief weg, sobald er
ihn gelesen hatte. Sie schrieben ein weiteres Mal hin und her, dann war das
Wochenende organisiert.
Patty
McAvoy konnte sich nicht von ihrem Loft loseisen, um zur Abschlussfeier ihres
Sohnes zu kommen, wobei sich auch niemand wirklich Mühe gegeben hatte, sie zu
überreden. In Wahrheit waren John und Kyle McAvoy froh über ihre Entscheidung,
zu Hause zu bleiben, da sie in Yale nur alles verkompliziert hätte. Drei Jahre
zuvor war sie auch nicht nach Duquesne gekommen, als Kyle dort seine bestandene
Zwischenprüfung gefeiert hatte, ebenso wenig wie zu den AbschlussfClem ihrer
Töchter. Kurz gesagt, Patty ging prinzipiell nicht zu AbschlussfClem, ganz
gleich wie bedeutend sie auch sein mochten. Sie hatte es immerhin
fertiggebracht, den Hochzeiten ihrer Töchter beizuwohnen, war aber nicht
imstande gewesen, sich an deren Planung zu beteiligen. John hatte lediglich die
jeweiligen Schecks ausgestellt, und irgendwie hatte die Familie beide Torfüren
überstanden.
Joey Bernardo kam am Samstagnachmittag in New Haven an, am Tag vor der Verleihungszeremonie.
So wie es der handschriftliche, von der Post persönlich überbrachte Brief
anwies, begab er sich zunächst zu einem düsteren, kellerartigen Pizzarestaurant
namens "Santo's", anderthalb Kilometer vom Campus entfernt. Am
Samstag um exakt fünfzehn Uhr rutschte er ganz rechts hinten im
"Santo's" in eine Nische und wartete. Das alles belustigte ihn und
machte ihn neugierig, und er fragte sich, ob sein Freund vielleicht wirklich
den Verstand verloren hatte. Eine Minute später erschien Kyle von hinten und
setzte sich ihm gegenüber. Sie schüttelten sich die Hand, dann blickte Kyle zum
Eingang, der von ihrem Tisch aus ziemlich weit entfernt lag. Das Restaurant war
fast leer, und Bruce Springsteen rockte aus den Lautsprechern.
"Schieß
los", sagte Joey schon wesentlich weniger belustigt. "Ich werde
verfolgt."
"Du
spinnst. Der Druck wird zu groß."
"Sei
still und hör zu."
Eine kaum dem Kindesalter entwachsene Bedienung blieb im Vorbeigehen kurz am
Tisch stehen, um zu fragen, was sie bestellen wollten. Beide nahmen ein Cola
light und Kyle dazu eine Pizza für zwei mit Pepperoni.
"Hab
eigentlich keinen Hunger", sagte Joey, als sie weg war. "Wir sind in
einem Pizzarestaurant, also müssen wir Pizza bestellen. Sonst machen wir uns
verdächtig. In ein paar Minuten wird einer von meinen Verfolgern hereinkommen,
in ausgewaschenen Jeans, einem dunkelgrünen Rugby-T-Shirt und einer khaki
grünen Golfkappe, uns komplett ignorieren und wahrscheinlich zur Bar gehen. Er
wird knapp zehn Minuten bleiben und dann wieder abhauen. Auch wenn er nicht
einmal zu uns hergeschaut hat, wird er alles gesehen haben. Wenn du gehst, wird
dir entweder er oder einer seiner Kollegen folgen und dein Nummernschild
überprüfen. Binnen Minuten werden sie wissen, dass ich ein halb geheimes
Treffen mit meinem alten Kumpel Joey Bernardo habe."
"Sind
das Freunde von dir?"
"Nein.
Das sind Profis, aber weil ich eben nur ich bin und kein ausgebildeter Killer
wie sie, denken sie, dass ich keine Ahnung habe, dass ich verfolgt werde."
"Aha,
na super. Dann ist ja alles klar. Und warum, alter Freund, verfolgen sie
dich?"
"Das
ist eine sehr lange Geschichte."
"Du
hast doch nicht wieder mit dem Trinken angefangen, was? Oder mit Drogen?"
"Ich
habe nie Drogen genommen, und das weißt du. Nein, ich trinke
Weitere Kostenlose Bücher