Größenwahn
so. Athemlos eilte der Mann zurück und öffnete hastig die Thür des Parlours, wo schon an der Schwelle eine Dame mittleren Alters dem Besucher entgegenkam. Sie trug Trauerkleidung, ihre Augen schienen von anhaltendem Weinen trüb. Wortlos drückten sich Beide die Hand. – – – – – – – –
»Und so erkläre ich auf meine Ehre« Mr. Hobhouse erhob sich feierlich, sowohl zur Bekräftigung als zum Zeichen seines Aufbruches »daß es närrische alberne Dokumente sind und daß sie vernichtet worden müssen. Wir haben Beide die Pflicht – Sie als nächste Verwandte des Verewigten und als das ihm theuerste Wesen, ich als sein ältester und bester Freund – das Aeußerste zu diesem Behuf zu versuchen. Ich eile unverzüglich zu Mr. Moore, um das Ding herauszulootsen. Leben Sie wohl!«
»Und – und diese Autobiographie – mein Bruder hat sie mir niemals erwähnt –«
»Das glaub ich wohl!« murmelte Hobhouse bitter in Parenthese.
» Was enthielt sie denn?! In Betreff der – der Scheidung nämlich? Oder –« Ein eigenthümlicher Ausdruck der Spannung, halb lauernd, halb ängstlich, straffte hier die müden Züge Mrs. Leigh's.
»Hm, hm –« Mr. Hobhouse dehnte seine Worte auffallend. »Erinnere mich nicht so genau. Viel Unsinn. Adieu.«
Was bedeutete der seltsame Blick, den Beide an der Thüre wechselten? Argwohn? Mißtrauten sie einander?
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In dem Drawing Room Mr. Murray's, des großen Verlegerfürsten, in Albemarlestreet, befand sich eine Gesellschaft von sechs Personen in heftigem Disput. Den Salon schmückte eine Reihe von Bildern, Porträts berühmter Schriftsteller, deren Werke bei Murray erschienen waren. Standen doch drunten im Portiko zwei bemerkenswerthe Büsten, auf welche weisend der Verleger mit gerechtem Stolz zu äußern pflegte: »Die Werke dieser beiden großen Männer sind hier veröffentlicht.« Der Eine war
»the Duke«,
der Herzog, der eiserne Herzog Wellington, dessen Depeschen
(dispatches)
vom spanischen Krieg bei Murray erschienen. Der Andere ein weit erlauchterer Geist, dessen Ruhm die Welt bedeckte und der soeben, die Lyra des Dichters mit dem Schwert des Freiheitskämpen vertauschend, den Heldentod für eine glorreiche Sache gestorben war. Aber die Skulptur schien diesem wunderbaren Antlitz nicht gerecht zu werden. Das merkte man so recht, wenn man das Meisterwerk von Philipps, ein Porträt im Rembrand'schen Stil, über dem Kamin des Salons auf die Streitenden herniederschauen sah. Unwillkürlich fuhr Jeder zurück, von einem seltsamen Schauer ergriffen, wenn er auf die harmonische und übermenschliche Schönheit jener Formen blickte, die im Leben einen Genius des Jahrhunderts beherbergt und jetzt von diesen übernatürlichen Kräften verlassen. Wie der Gott des nimmer fehlenden Bogens, der Gott des Lichtes und der Poesie, die Sonne in Menschengestalt, Phöbus Apollo, blickt er wie aus überirdischen Fernen nieder. Als dieses Antlitz im Theater della Scala in Mailand vor dem vornehmkühlsten Kritiker Frankreichs (Stendhal) an einer Logenbrüstung auftauchte, vergaß er, dem Schwanengesang Desdemonas zu lauschen, und blickte auf dies Wunderbild bis zuletzt. »Ja,« gesteht er, »ich war einen Augenblick enthusiasmirt. Nie hab' ich Aehnliches geträumt. Stets wenn man das Wort ›Genie‹ nennt, taucht dieser sublime Kopf in meiner Erinnerung empor. Es war das göttliche Bewußtsein der Kraft.« Und dennoch – so lieblich dies Lächeln, das in so joviales Gelächter wie das eines fröhlichen Schulknaben umschlagen konnte, so offen und frei der stolze Blick – auf der Majestät dieser hohen Stirn thront unsterbliche Trauer. Man gedenkt an den Lucifer, den Lichtbringer der Erkenntniß, vor dem Byrons »Kain« erstarrte: »Wer naht dort? Die Gestalt gleicht der der Engel, doch wehmuthsvoller, düsterer ist der Anblick dieser Erscheinung vergeistigtester Geisteskraft. Was schaudre ich? Was fürchte ich ihn mehr als andre Geister? Doch scheint er ja viel mächtiger als sie alle, und schöner, aber doch nicht halb so schön, als er einst war und als er werden könnte.« ..... Unter den sechs Versammelten standen sich zwei Parteien gegenüber. Die bemerkenswertheste Persönlichkeit, ein kleiner Mann von sympathischem Aeußern, war kein Geringerer als Thomas Moore, der Nationaldichter Irlands. An seiner Seite stand Mr. Murray, der Chef des großen Verlagsetablissements, und
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