Größenwahn
einer Underground-Station stillhielt. Mechanisch löste er ein Billet, stieg die Stufen hinab, wo an jeder Seite lange Holztreppen in die ungeheure Halle hinabführten, und wartete auf seinen Zug.
In dieser Nacht war er ein Andrer geworden. Der Stahl der Härte verschmolz sich dem ideellen Silber und dem materiellen Kupfer seiner Seele. Ueber die Falschheit der Welt kann man nur lachen. Ihr zürnen und sich über sie grämen, heißt ihr allzuviel Ehre erweisen.
Der letzte Nachtzug brauste mit rothfunkelndem Laternenauge heran. Die hölzernen Wände und Treppen der Underground-Station blickten so dürr trübselig drein. Droben auf der Oberwelt heulte ein eisiger Wind. Matt blinzelten die Ampeln. Nur wenige Passagiere trotteten vorüber.
Krastinik dachte an eine Nacht auf dem großen Bahnhof zu Perth. Nebel über den fernen Bergen, er ganz allein auf einer Bank. Vor ihm auf und ab spazierend nur ein amerikanischer Tourist mit Frau und Schwester, über der Schulter den buntgewürfelten Tartanplaid, der hier als Touristenmode gilt. Er hatte den Mann recht von Herzen beneidet, den Glücklichen mit zwei weiblichen Wesen an der Seite – er so ganz allein, fern der Heimath, einsam wie eine Distel auf Lammermoors Haide, auf die der Hochlandregen niederträuft.
Und dann kam ihm wieder die Erinnerung an eine Nacht in der ungarischen Pußta hinter Großwardein, wo der Eisenbahnzug plötzlich hielt. Man hatte sich verfrüht oder verspätet und ein entgegenkommender Zug wurde signalisirt. So hielt man bange zehn Minuten an derselben Stelle. Die Schaffner liefen mit Laternen draußen auf und ab, unabsehbar dehnte sich zu beiden Seiten die Wüstenei und aus den Sümpfen kreischten unheimlich Wildgänse und Reiher im dunkeln Röhricht.
Am andern Tage theilte Krastinik seinem »Kameraden« mit, daß er sofort morgen Abend mit ihm nach Berlin abreisen werde und bereits gepackt und die »Bill« bei seiner Wirthin erledigt habe. Zugleich machte er sich auf, um Dorringtons diese Mittheilung zu machen. Er ließ natürlich den Grund von Rothers Kommen im Dunkeln, that, als sei dies ein alter Bekannter aus Wien her, und entwickelte die litterarischen Gründe, die ihn nach Berlin trieben.
Sogar Lady Dorrington billigte, was sie eine »zeitweilige und geschickte Entfernung« nannte. Sie äußerte sich sehr erbost über Miß Alice's schmachtende Falschheit, wie Frauen stets dasselbe Benehmen ihrer Schwestern
shoking
finden, das sie selber doch unter Umständen als echte Frauen in gleicher Weise betreiben würden. Weltklug rieth sie ihrem Neffen, erst aus Berlin seinen Glückwunsch darzubringen: da er schon verreist gewesen sei, ohne zu seinem Bedauern sich Egremonts empfehlen zu können, von plötzlichen wichtigen Affairen abberufen.
»Man muß seinen Rückzug decken und seine Niederlage bemänteln, mein armer Xaver.« Dieser biß sich auf die Lippen.
... Krastinik schlug Rother gegenüber jetzt einen forcirt jovialen Ton an. Er glaube, es werde sich diesem alles zum Guten wenden. Uebrigens möge er nicht alle Hoffnung auf Kathi aufgeben. Der kleine Fleck in der Vergangenheit – was schade das! Das bliebe ja unter ihnen drei – in der Familie. Sie sei ja sonst offenbar ein ganz famoses Weib. Rother liebe sie doch nun mal. Also nicht nachlassen!
»I was schadet's denn! Ich beneide Sie darum. Enden Sie als Gatte einer dicken Gastwirthin, einfach lebend mit einem ruhigen Weib, die sich bescheiden von Ihnen bilden läßt. Solch ein derbes dummpfiffiges Küchenmensch paßt grade für Sie – Sie idealen Schwachmatikus, verzeihn Sie. Damit werden Sie eine gute Brut erzeugen – Darwinische Zuchtwahl.
Hören Sie in mir den kundigen Thebaner! Sie meinen, die Leute werden sich über Sie moquiren? Pah, was geht Sie die Gesellschaft an! Sie Glücklicher, Sie haben ja keine Rücksichten zu nehmen wie ich. Lägen dann die Neidhammel, die sich über Sie mokiren, nur in Ihrem Ehebett!
Ja, nur los, ich gebe Ihnen meinen Segen! Nur hüten Sie sich, daß Sie nicht wie als Freier auch als Mann den blöden Corydon spielen – solcher Sentimentalität sind die Weiber und nun gar solche Weiber bald überdrüssig.«
Aber Rother wollte jetzt von solchen Predigten nichts hören. Stumpf und begierdelos, schien er in nörgelnde Apathie versunken. Hatte er zu viel von dem ungewohnten London Fogg, dem dicken Nebel geschluckt?
»Ich will ewig reisen, und wenn ich auf Reisen bin, ärgere ich mich über die tausend Plackereien, die damit verbunden,« warf er
Weitere Kostenlose Bücher