Größenwahn
was noch geschehe. Warum solle Krastinik nicht selbst einen Abstecher nach Berlin machen?
»Eigentlich erinnert mich die ganze Geschichte an den berühmten Prozeß Gräf. Na, jene Bertha scheint denn doch ein viel schlimmeres Kaliber als unsre Kathi. Herrgott, hat Die eine Reklame aus ihrem Prozeß herausgeschlagen! Nun, Theuerster, wenn nicht Kathi, so will ihr Herr Prinzipal jedenfalls diesem Beispiel folgen. Freilich, was liegt denn da weiter vor! Gar nichts. Sie sind ja ein junger lediger Mann – ob Sie a bissel lächerlich werden, das schad't nix. Und wenn ich erst für die Wahrheit Ihrer Angaben zeuge – – nein, nein, wie komisch ist das Alles! Haben Sie auch Gedichte an Ihre Flamme gemacht
à la
Gräf?«
Rother erröthete. Er konnte ja nicht leugnen, daß Gräf's lyrisches Tagebuch über seine ideale Bertha auch ihn angesteckt hatte. Es schien ihm gleichsam mit dazu zu gehören. Als Krastinik, seine Verlegenheit bemerkend, in ihn drang, zog Rother sein Notizbuch und vertraute ihm drei Lieder an, die sich auf der Ueberfahrt nach London als Stoßseufzer ihm entpreßt hatten.
Nie entweicht aus meinem Auge
Deine herrliche Gestalt.
Und auch Du kannst nie entrinnen
Meiner Augen Allgewalt.
Ewig flammt in mir Dein Auge,
Und in ewigem Zauberbann
Folgt durchs Leben Dir mein Auge,
Nur das Grab Dich retten kann.
Weißt Du, was süßer als die Liebe ist,
Und süßer als des Ruhmes eitle Mache?
Es ist der Haß, der sich am Bösen mißt:
Gerechte Rache!
Du, die auf mich geschnellt der Tücke Pfeil,
Du bist verdammt und ich, Dein Teufel, lache.
Ich war Dein Engel und Dein Seelenheil.
Gerechte Rache!
Starb der Stolz tiefinnen Dir,
Mag ihn Eitelkeit ersetzen.
Starb die Liebe, Sinnengier
Mag Dir das Gefühl ergetzen.
Immer höher steige ich
Sonnempor auf Aetherschwingen.
Nur das Haupt hier neige ich,
Dir den letzten Gruß zu bringen.
Krastinik hatte aufmerksam zugehört. »Ei den Kukuk, Sie Hallodri! Sie scheinen mir ein begnadeter Lyriker. Das ist selbsterlebt, selbsterlebt, aus dem Innern gequollen!«
»Ach bitte, nicht so!« wehrte Rother bescheiden ab. »Es ist ja nicht mein Metier. Ich fühle nur ab und zu das Bedürfniß, auszusprechen, was mich quält.«
»Hm, hm!« Der Graf blies nachdenklich blaue Ringel aus seiner Trabuco. »Sagen Sie mir doch ... verkehren Sie viel in Berlin in sogenannten litterarischen Kreisen?«
»O ja. Ich kenne Manchen.«
»Ei, da könnten Sie sich bei mir revanchiren.«
»Wie das?«
»Sie würden mir einen großen Dienst erweisen, falls Sie ...« Der Graf stockte, setzte mehrmals an, dann ging er entschlossen in
media res,
indem er Rother ausführlich seine merkwürdige Lage und seine literarischen Pläne anvertraute. Dieser staunte.
Endlich fühlte der gräfliche Autor sogar das dringende Bedürfniß, dem Maler etwas von seinen Produktionen zu verlesen. Er lege (natürlich) den bekannten »hohen Werth« auf das Urtheil eines so hochgebildeten Mannes. Da habe er sich z.B. in die mystische Ehescheidungsgeschichte Lord Byrons vertieft und sei zu seltsamen Schlüssen gelangt. Ob Rother ihn ermuntere, folgenden Anfang eines projektirten Romans fortzusetzen. Auf Rothers Bitte, die wirkliches Interesse verrieth, las er nun folgende Schnitzel ab. Eins seiner gewöhnlichen Fragmente, die nie ein fertiges Ganze werden wollten.
»Ist Mrs. Leigh zu Haus?« fragte ein langer gentlemanlike dreinschauender Herr, welcher hastig in den Portiko getreten war, den Haushofmeister mit vor Aufregung vibrirender Stimme.
»Ja wohl, Sir. Jedoch weiß ich nicht, ob sie so früh empfängt oder überhaupt heut' empfangen kann. Die traurige Nachricht, Sie wissen ... Alles geht drunter und drüber.« In der That zeigte der Haushalt deutliche Spuren von Unordnung, wie irgend ein
untoward accident
sie zu bewirken pflegt.
»Natürlich,« nickte der Besucher, indem eine heftige Bewegung seine männlichen Züge überflog. »Ganz London ist in Allarm. Man hält sich auf der Straße an. Freilich, solch ein sensationeller Aktschluß – das liebe Publikum! Aber wir, die wir so viel tiefer –« Er brach hastig ab und drängte den Portier bei Seite. »Bitte lassen Sie mich sofort ein. Es ist von höchster Wichtigkeit für Mrs. Leigh.«
»Mr. Hobhouse, wenn ich nicht irre?« fragte der zögernde Diener mit einer respektvollen Verbeugung.
»Gewiß. Melden Sie, es handle sich um den Verstorbenen – für Mrs. Leigh ist das wohl genug.«
Es schien in der That
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