Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
mürrisch hin.
    »Pah, Sie sind jetzt eben in krankhaft grämlichem Zustand. Glück und Unglück wechseln, ebenso die Stimmungen der Seele in ewigem Ebben und Fluthen. Diese ewige Unzufriedenheit ...«
    »Nein, nein, es scheint noch etwas Anderes: ich leide an einer Nervenschwäche, die sich als unbestimmte Angst äußert. Ich fürchte alles Mögliche: Schmerz, Arbeit, Ueberarbeitung. Ja, ich bin überarbeitet; ich glaube, ich muß in eine Kaltwasserheilanstalt. Ewig bohre ich mich in unliebsame Erinnerungen ein, fürchte mich – ich weiß selbst nicht wovor.«
    »Ja, das scheint ernstliche Psychose,« unterbrach ihn Krastinik wohlmeinend. »Sie müssen 'was für sich thun. Spleen ist schlimmer als alle Ueberarbeitung. Die fürchtet nicht der wahre Künstler.« Seine Stimme nahm unwillkürlich einen salbungsvollen Klang an, als ob er sich bereits mit dem »wahren Künstler« identisicire. »Ja, jede Minute benutzen, das ist das einzig Wahre, und ganz allein auf sich und den lieben Gott stehn. Lassen Sie doch die Quängeleien!«
    Wer von Beiden war wohl der Dümmere? Der Eine litt an unbefriedigter Ruhmsucht, der Andre an unbefriedigter Liebe. Krastinik kam sich aber gar schneidig und bedeutend vor, weil ihm Alice's sogenannte Falschheit nicht das Herz brach und ihm der Kopf von Ehrgeiz-Plänen brummte. Er erklärte jetzt, das wahre Glück in der Selbstbefriedigung vollbrachter Pflicht und Arbeit entdeckt zu haben, und citirte als Wahlspruch ein Impromptu:
     
    Gebt mir Donner, gebt Orkane.
    Nur nicht diese Windesstille
    Auf dem Lebensoceane.
    Denn zu kämpfen liebt der Wille.
     
    »Jaja, es ist wunderbar wie eine erfüllte Pflicht beglückt. Willenskraft, Energie – darin liegt Alles,« hob Krastinik wieder an. »Aber wie schwer ist's, sich zu erheben! Die Indianer in Mexico bleiben in ihrem eigenen Kothe liegen, wie mir ein Reisender jüngst erzählte. Man prüft ja Aehnliches jeden Morgen im warmen Bett. Und in den alten Adam nicht zurückzufallen, wie unmöglich! Da ist nun die Gesellschaft mit ihren tausend albernen Kleinlichkeiten! Haben Sie eine ungeschickte Verbeugung gemacht, so ärgern Sie sich – nicht? Und wenn Sie alle Weisheit der Vorsehung im Leibe hätten! Statt aber schiefes Betragen zu bessern, erzielt man bei sich nur unfruchtbaren Aerger. So doktert man an Allem herum und spintisirt sich sogar vergangene Uebel schlimmer aus, als sie waren.«
    Rothers Mißmuth stieg nur durch diese Vernünftelei. Wenn man Andern seine Noth klagt, beweisen sie sogleich, dies sei nur eigene Schuld gewesen.
    »Eine Hölle auf Erden! Tausend Nadelstiche! Und Willenskraft – als ob's einen Willen gebe! Wir werden unsre Thorheiten nicht los – die sind uns vererbt, und angeboren. Wie wir einmal hereinfielen, werden wir's stets. Wen einmal ein Weib dupirte, der wird stets aufs neue dupirt. Ich merke das, ich fühle das.«
    »Wohl wahr. Aber aus allem Mißglückten kommt doch irgendwas Geglücktes. Aus der Jagd nach dem Glück hat sich wohl Mancher schon Philosophie geholt.«
    So schwatzten sie immer weiter fort in die Nacht hinein. Je mehr man abführt, desto besser die Verdauung, meinen manche Leute. Je mehr man schwatzt, desto reger die geistige Verdauung. Aber sie führt gar leicht zu geistigem – Durchfall.
    Die Empfindsamkeit über die Weltmisère übte auf Rother eine vergiftende Wirkung: Sie bekehrte ihn zum Materialismus. Die elenden Erbärmlichkeiten einer unidealistischen Weltanschauung wuchteten ihn völlig nieder, wie denn wahrer Idealismus erst durch innere Ueberwindung des Materialismus errungen werden muß. Die Verzweiflung des Idealismus führt zum Leben, der materialistische Pessimismus zum Tod.
    Krastinik ermahnte ihn eindringlich beim Mittagessen, wo Beide wenig Appetit entwickelten, doch der Welt und ihren dummen Spottgrimassen dreist ins Auge zu sehn. Außerdem sei zehn gegen eins zu wetten, daß kein Mensch von Rother's Kathi-Tollheit etwas ahne.
    »Ach, die Welt weiß Alles, selbst unsre Lügen,« seufzte Rother.
    »Meinen Sie? Meinethalben. Jeder muß eben sehn, wie er's treibe. Nie ist ein Mensch durch Disput mit Gegnern überzeugt, nie durch Andrer Warnung und Geschick bekehrt. Lebensklugheit suchen ist umsonst – sie ist wie das Glück, wie das Gefühl des Behagens, einfach da.«
    Beide versanken in ein düstres Sinnen.
    »Wie konnte ich nur –!« fuhr es Rother heraus. »Ich muß mich schämen. Unerwiderte Leidenschaft für ein üppiges Weib ist doch lächerlich.«
    »Das finde ich

Weitere Kostenlose Bücher