Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
ich mit Steinen werfend unversehens einen Vorübergehenden getroffen hatte. Es war nicht Furcht vor Strafe, sondern die Reue, einen Menschen verletzt zu haben.«
    »Gute Race!« erklärte Dorrington kaltblütig. »Die Knaben des Pöbels, welchen Thierquälerei einen Hochgenuß bereitet, würden in solchem Fall über Deine Dummheit lachen. Es ist alles Abstammung.
    Freilich, gute Race – hm, hm! Wer weiß, ob unser Idealismus – ich war mein Lebtag ein eben solches Kind und bedaure in Dir meine eigne Schwäche – nicht eine physisch schlechte Race andeutet! Unsre Eltern haben an einer Art Psychose gelitten, an allzu zarter Feinheit des Nervensystems, waren nicht normal gesund d.h. brutal-egoistisch, als wir gezeugt und geboren wurden. Der Idealismus ist eine Krankheit; davon laß' ich mich nicht abbringen.«
    »Meinethalben!« Krastinik seufzte tief auf. »Aber was hilft's, das zu wissen! Damit kommen wir keinen Schritt weiter. Wir müssen ja doch das Leben ertragen, wie's einmal ist, und unsre idealen Forderungen verkneifen.«
    »Ja, bis der Tod uns kneift.« Der Alte gähnte leicht und schüttelte sich, wie in einem Gefühl des Unbehagens. »Und um's erträglicher zu machen, hat man sich die Mär von der Unsterblichkeit erfunden. Das ist auch so eine Art Größenwahn des Menschen. Endlich sollte die Naturwissenschaft ihn doch belehrt haben, was für ein Wurm er ist. Wahrhaftig, man sollte denken, daß Dein ›eingeborenes Prinzip‹ beim Menschen nichts andres als der Größenwahn ist!! Erst dachte er sich Sonne, Mond und Sterne um seine winzige Erde hertanzen und schneiderte sich einen Gott zurecht, der nur für ihn und seine Bedürfnisse da war! Jetzt muß er wohl oder übel einsehn, daß sein Erdklumpen nur einen Punkt im Universum vorstellt. Darwin hat ihm endlich zu Gemüthe geführt, daß er nur ein höher entwickeltes Thier sei. Und trotz alledem hält sich der veredelte Menschenaffe immer noch für einen hochwohlgeborenen Grandseigneur, an dem Sonne, Mond und Sterne ein ganz besonderes ehrfürchtiges Wohlgefallen haben!«
    »Sie übertreiben.« Der Graf lächelte etwas ironisch. »Wäre dem so, so würde der veredelte Menschenaffe wohl etwas mehr in seiner persönlichen Aufführung danach streben, vor Sonne, Mond und Sternen mit Ehren Parade zu stehn! Uebrigens – über diese Descendenztheorie läßt sich noch streiten. Längst hat mich einfache Logik gelehrt, daß der Uraffe, von dem wir abstammen äußerst verschieden gewesen sein muß von dem Urahnen des eigentlichen Affengeschlechts. Warum hat nur der ›Menschenaffe‹ solche Fortentwickelungsfähigkeit gehabt und warum ist der Affe, wie wir's am Gorilla und Schimpanse heut sehn, nach Aeonen immer derselbe geblieben? Der Menschenaffe war eben ein Genie. Denn Genie scheint mir keine concrete Fähigkeit, sondern eine Art Baccillus, der im Gehirn bei der Geburt steckt und sich langsam je nach den Umständen fortbildet oder auch nicht. Der Eine wird ein großer Mann, der Andre ein Verbrecher. Wie mancher Handlungscommis könnte ein Clive, wie mancher Midshipman ein Nelson werden, wenn die Umstände ihn begünstigen! Cäsar Borgia wurde kein Cäsar: er hatte kein Glück. ›Sulla der Glückliche!‹ ›Cäsar und sein Glück!‹ O die Römer waren kluge Leute. Der Menschenaffe hatte Glück und hatte Genie. Der Ur-Gorilla aber hatte ein Durchschnittsgehirn und weder Glück noch Initiative. – Nein, nein, unsere Verwandtschaft mit dem Affengeschlecht scheint mir nur äußerlich und kann nur dem Oberflächlichen imponiren.«
    »Sieh, sieh!« spottete Dorrington. »Da haben wir den menschlichen Größenwahn in
optima forma.
Uebrigens,« brach er ab, indem er nachdenklich vor sich hin blickte, »vielleicht verdanken wir unserm Größenwahn auch unser bischen Größe. Man muß an sich glauben. Goethe sagte sogar, daß noch kein rechter Kerl an seiner Unsterblichkeit gezweifelt habe.
    Ja, mit dem Größenwahn ist das ein eigen Ding. So müssen z.B. Mohamed, Christus, Buddah sich für Übermenschen ausgeben, weil die Menschen nur die Person, nie die Sache sehn und daher ohne dies das Große in ihnen nicht siegen könnte. Solch ein Größenwahn scheint also nothwendig, wird sogar zur Tugend!«
    Krastinik schwieg betroffen. Diese Auffassung kam ihm sehr gelegen und leuchtete ihm ein. Doch warf er hin:
    »Größenwahn scheint fast immer gepaart mit hochmüthiger Verkleinerung der Andern.«
    »Nun ja, das ist eben der natürliche Egoismus, aus dem ja auch der

Weitere Kostenlose Bücher