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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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erzählen darüber.«
    »Stimmt. Poststempel Hamburg. Und ... und – wie heißt ihr neuer Amoroso?«
    Frau Lämmers zögerte. »Ja, ich weiß nicht ... Sie müssen mir versprechen, mich nie zu verrathen ...«
    »Mein Ehrenwort.«
    »Also gut. Er heißt Eugen Wolffert .«
    »Eugen Wolffert! Der Sohn des Kommerzienrath Wolffert – des Waffenfabrikanten, des fortschrittlichen Reichstagsabgeordneten?«
    »Derselbe.«
    Rother stand einen Augenblick regungslos. Es durchschauerte ihn jählings der Gedanke, daß es wohl gar keinen Zufall gebe, sondern alle Dinge innerlich aus Nothwendigkeit in einem abgezirkelten Kreise zusammenlaufen. Berg und Thal kommen nicht zusammen, aber wohl die Menschen in Berlin.
    Er faßte sich jedoch rasch und that möglichst unbefangen. Daß die Sache nun also endlich aus und zu Ende sei, befriedige ihn. So sei Kathi denn besorgt und aufgehoben. Somit empfehle er sich Frau Lämmers und danke ihr für die vielen Unannehmlichkeiten, deren sie dieser Geschichte halber sich unterzogen.
    Zu Hause steckte er sich eine Cigarre an und überließ sich Träumereien, die an seine Vergangenheit anknüpften.
    Eugen Wolffert! Ja, den hatte er gekannt. Er dachte an eine Episode seines Jugendlebens zurück, an den Tag seiner Abiturientenprüfung.
    – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
     

 
    Der würdige Pädagoge hatte gesprochen, ordnete seine weiße Kravatte, schob seine Brille zurecht und erglänzte von dem milden Lächeln väterlichen Wohlwollens. Die Mütter, völlig überwältigt von den klassischen Citaten und Rührung, weinten bitterlich. Die Schwestern starrten – nicht nach dem speziellen Bruder, sondern seinen speciellen Collegen. Die Väter versuchten ergriffen auszusehen. Kurz, alles ging so zu, wie es seit grauer Vorzeit bei Abiturientenentlassung herkömmlich ist. Leider schienen die »nicht ganz gewöhnlichen Charaktere,« wie Director Sprengler es so schön ausgedrückt hatte, »der drei Aspiranten des öffentlichen Lebens« am wenigsten sanfteren Gefühlen zugänglich. Der Eine lehnte mit verschränkten Armen (eine Stellung, die er zur äußersten Entrüstung des Pedells und der jüngeren Schulamtscandidaten während der letzten fünf Minuten kaltblütig behauptet hatte) an einem Pfeiler in der Haltung stolzer Gleichgültigkeit. Der Andere blickte dem Lehrer seiner unerfahrenen Jugend, die Augen halb geschlossen, in die Reuer der Beredsamkeit strahlenden Brillen, – mit dem kahlen und mitleidigen Lächeln, das sich bei näherer Besichtigung wie verächtlicher Hohn ausnahm. Der Autokrat der Aula schien übrigens an diese verrätherischen Anzeichen eines schlechten Gemüths durch langjährige Erfahrung gewöhnt.
    O, er fühlte es, der absolute Dynast, mit gerechtem Groll: dies war nicht mehr das Lächeln des Trotzes sondern das triumphirende Lächeln des Befreiten vor seinem früheren Kerkermeister.
    »Dieser Jüngling nimmt ein schlechtes Ende!« murrte der wohlwollende Seher einem grauhäuptigen Oberlehrer der Anstalt zu – dem wohlbekannten
Dr.
Müffich, welchem jene von der gelehrten Welt mit solchem Beifall aufgenommene Abhandlung über den Bart des Sokrates gelang. »
Recte!
« versetzte dieser graue Trojaner. »Die Jugend wird immer verderbter!«
    »Und welch schlechte Manieren!« wisperte der schöne
Dr.
Lucä, welcher einen Essay – beileibe nicht
Dissertatio,
heute wird die Wissenschaft modern und elegant, Schlafrock wird unschicklich selbst für Metaphysiker, und die schlafmützigste Gründlichkeit wirft sich in Frack und Glacee – über die Superiorität des französischen Geistes verbrochen hat: ein Thema, das ihm bei einem gerechten deutschen Publikum große Sympathien gewann. Lucä war auch mal in Paris gewesen und litt am Größenwahn der Gallomanie.
    Der dritte Jüngling entfaltete indessen die Talente eines Satelliten. Erst versuchte er die stolze Nonchalance von Nr. 1, dann die sardonische Grimasse von Nr. 2 nachzuäffen. Schwankend zwischen der Verehrung zwei so illüstrer Vorbilder, gähnte und grinste er in schönem Wechsel, bis er endlich, ermüdet von seinen erfolglosen Anstrengungen, das Kennzeichen seiner wahren Natur entwickelte, nämlich den träumerischen Blick phantastischer Duselei.
    Der großartige Ritus der Entlassung war nun zu beendigen durch den ehrenvollen Akt des Händeschüttelns mit dem einstigen Despoten. Der Gleichgültige schüttelte mit jovialer Herablassung, der

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