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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Träumerische wie ein verlegenes Kind, und der Höhnische mit einer beleidigenden kalten Höflichkeit.
    Dann wandte sich der wohlerzogene junge Mann mit einem halb natürlichen, halb affektirten Gähnen zu seinen zwei Freunden, welche mittlerweile ihren Familien eine zarte Eröffnung über einen zu haltenden »Soff« bereitet hatten, den die drei Abiturienten für den Abend verabredet hatten. Für ihn selbst schien keine Familie anwesend. – Sie standen allein in der Vorhalle der Aula. »
Eh bien!
« rief der Gleichgültige, offenbar die Hauptperson dieses Kleeblatts, »
all right?
Gürten wir denn unsre Lenden und wandeln in das gelobte Land, wo Bairisch und Kutscher in Strömen fließet! – So leb' denn wohl, Du altes Haus! Herr Pedell, unsre Ueberzieher! Und hier, lieber Herr, ein kleines Souvenir für so viele Mühe!«
    »Danke, danke, Herr Wolffert!« kratzfußte der gerührte Herr Baum, drei Thaler bis ins Herz hinein fühlend, »danke Sie vielmals! War mich immer eine große Ehre, einem so seinen jungen Herrn gefällig zu sein! Ich hatte, därf ich woll sagen, stets een Auge auf Ihnen! Viele Mühe – hehe! Des dürfen Sie woll sagen! Schon – alleine –«
    »Die Carcer!« lachte der junge Mann fröhlich. »O muß ich denn auch Dich verlassen, Wiege meiner Jugend? Wann war's denn das letzte Mal, lieber Herr Pedell?«
    »Na, wissen Sie, mir däucht, als Sie Herrn Schulamtskandidaten Specht so frech – däs will sagen, ich meine – so kavaljeremang traktirten! Die Geschichte mit das Fenster!«
    »Ich kann mich wirklich nicht erinnern!« behauptete der Schwerenöther. Er wollte es gern noch einmal hören.
    »Nä, däs muß man sagen? Nich erinnern? Vier Stunden Brummen? Däs heißt – ich erinnere mir, gebrummt haben Sie nicht, aller jejrölt haben Sie janz laut ›Steh ich auf finstre Mitternacht‹ und andere jefühlvolle und patriotische Jesänge und – juter Jott! – jejessen haben Sie! Ich erinnere mir, der Career glich Sie einer Eßwaarenhandlung!«
    »Bravo! Kapitales Gedächtnis! – He, Leonhart!« Der Höhnische hörte auf diesen Namen. »Willst Du nicht über die Functionen der Erinnerung in den Gehirnen der Masse philosophiren? Hier Herr Baum hat ein tief entwickeltes Stullengedächtniß!«
    »Und ein Trinkgeldgedächtniß dazu! Ich habe nie daran gezweifelt: Seine ›Freuden der Erinnerung‹!«
    »Na, was däs anbelangt, Herr Leonhart, so gaben Sie mich mindestens nich ville Jelegenheit, dies Jedächtniß zu exerciren!«
    Der erboste Pedell war offenbar schon lange von der Insolenz dieses Leonhart gereizt. Er riskirte lieber sein Trinkgeld zu verlieren; vielleicht wußte er, daß er doch keins bekam.
    »Unsinn, lieber Herr Baum!« lachte Wolffert. »Er meint's nicht so! Er insultirt Leute manchmal nur, weil es so seine Gewohnheit ist. Keine böse Absicht!« Er versuchte augenscheinlich den Protektor zu spielen. »Und nun, um auf den besagten Hammel zurückzukommen« –
    »Sie meenen den Specht? Nu, sehn Sie, die Sache war Sie die: Die Klassenfenster stehen offen. Und Monsieur Specht« – nach drei Thaler Trinkgeld darf man schon was riskiren! – »kommt in die Prima, wo er ja nischt zu suchen hat, und kreischt: ›Fenster zu! Sie da!‹ Und damit meint er Ihnen, Herr Wolffert, insofern als Sie zunächst das Fenster standen, sehn Sie –›Sie da,‹ sagt er ›machen Sie mal die Klappe zu!‹ Däs traf Ihnen. Und Sie sagen, sehen Sie: ›Herr, den ich nicht zu kennen die Ehre habe‹ – däs war frech, entschuldigen Sie mir, aber däs war frech!« (›Frech‹ bedeutet: tapfer und brav, im Schuljargon) »Sie sollen Ihre Lehrer kennen. Sehn Sie! – Also: ›Ehre habe!‹ sagen Sie ›machen Sie lieber selbst Ihre Klappe zu!!‹«
    »Das war riesig frech!« jubelte der Träumerische und warf einen Blick tiefen Respekts auf seinen vom Bewußtsein edler »Frechheit« strahlenden Freund.
    »›Oder bitten Sie mir erst!‹ sagen Sie. ›Man bittet in anständige Jesellschaft!‹ – Na, das Jesicht von Spechten können Sie sich man selber imaschuiren!«
    (Baums klassische Studien bereichern seinen Wortschatz mit Gebilden einer seltsamen Sprache, welche von Gelehrten der Tertia für Chaldäisch erklärt wird, mit Anklängen an das Etruskische.) »Roth, wie ein Puter schreit er: ›Sie impertinenter Flegel!‹ sagt er ›Ihren Namen!‹ – Hehe, impertinenter Flegel! sagt er – entschuldigen Sie mir, aber däs war stark! ›Impertinent‹ ist stark!«
    »Wurde noch nie einem Primaner

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