Größenwahn
er brachte es auch hierin zu nichts und der himmelstürmende Titane in Glacés, der auf der Schule sich als neuer Mirabeau von den Commilitonen anstaunen ließ, entpuppte sich, wie so viele »Genies« der Flegeljahre, als ein höchst gewöhnlicher Dilettant und Weltbummler. Wer hätte damals prophezeit, daß der blasse süffisante Leonhart ein berühmter Dichter und der träumerisch schüchterne Rother ein sehr bekannter naturalistischer Künstler werden könne! Aber auf den schneidigen eleganten Wolffert – ja, auf den hätte Jeder geschworen, daß etwas Außerordentliches in ihm stecke! Und nun nichts, gar nichts – ein reicher junger Mann, der den Namen seines Vaters führte – der Sohn seines Vaters!
Ach, Rother erinnerte sich mit wehmüthiger Ironie an verschiedene Wunderkinder, in welchen die Herrn Schulmeister neue Säulen der Wissenschaft geahnt hatten, – besonders einen gewissen neuen Mommsen. Ach, dem jungen »Doctor« war er kürzlich begegnet. Wie hatte nicht er selbst den früher bewundert! Und nun mit seinen welt- und leidgeschärften Augen sah er einen kümmerlichen philiströsen Durchschnittsmenschen in dieser jungen Leuchte der Wissenschaft – ein Menschlein, grade gut genug, um in alten Pergamenten zu büffeln und Inschriften mit seiner blöden Brille zu entziffern.
Eugen Wolffert! Eine unaussprechliche Verachtung ergriff ihn bei diesem Namen. Dann keimte allmählich ein düsterer Haß in ihm empor. Ein solcher Halb-Mensch, der nie wahrhaft gelitten, nie wahrhaft gelebt, nie wahrhaft gestrebt, geschweige denn gewirkt – ein solcher Eunuch geschwätziger Pseudo-Bildung kreuzte seinen Weg und nahm ihm, was sein durch das Recht der Liebe und des Leids. Wie er auf der Schule durch seine imponirende Aeußerlichkeit den unscheinbaren bescheidenen Rother niedergedrückt, so sollte er auch jetzt den Sieg davontragen?
II.
Krastinik hatte sich sofort nach seiner Ankunft in Berlin durch Rother verschiedenen Litteraten vorstellen lassen. Einigermaßen über die Verhältnisse aufgeklärt, mit Empfehlungen versehen, machte er sich nun sofort daran, seine Feder-Versuche auszubeuten. Seine Lyrika lagen wohlgeordnet in einer Mappe und er gedachte sich einen Verleger zu sichern, indem er vorerst einige Proben in einem Journal placirte. Er ahnte zwar sehr wohl, daß der deutsche Biedermann grundsätzlich keine Gedichte liest; allein er meinte mit Recht, daß es zum Debut eines ordentlichen Autors gehöre, ein Bändchen Gedichte, womöglich in Maroquin mir Goldschnitt, herauszugeben. Rother hatte ihm einen eben etablirten jungen Mann bezeichnet, der sein väterliches Erbteil auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege zu verputzen dachte und am Laster des Bücherdruckens »mit geschmackvollen und stilvollen Einbänden« (nebst Inhalt als Beilage) litt. Um denselben zu kapern, beschloß also der leidlich schlaue Graf, die Redaktion des »Bunten Allerlei« anzusuchen, deren Chef an der fixen Idee litt, Talente zu entdecken – falls ihm dies nichts kostete und der Autor sich seine Protektion gefallen ließ.
Doctor Gotthold Ephraim Wurmb empfing den Grafen mit verbindlicher Höflichkeit, gemäßigt durch eine gewisse steife Zurückhaltung. Er war ein ziemlich behäbig aussehender Herr von untersetzter Statur und duftete stark nach Moschus. Seine geblähten Nasenflügel zeugten für Aufgeblasenheit und versteckte Brutalität. Seine breiten lüsternen Lippen umspielte eine überlegene Ironie, die auf den tieferen Beobachter als recht gezwungen wirkte. Seine blonden Haare sträubten sich über einer breiten Denkerstirn und sein schmaler blonder Ziegenbart versteckte nur halb ein wohlgenährtes Pfaffenkinn. Unter seiner Brille funkelten ein Paar mausgraue Aeuglein listig in die Welt hinein, die unter Umständen tückisch genug schillern konnten.
Unendlich durchdrungen von der Wichtigkeit seiner Stellung und dem Gewicht seiner Autorität, empfand er doch mit der echten Unterwürfigkeit des Parvenu-Plebejers einen angenehmen Kitzel, einen Grafen von so berühmtem altem Adel bei sich antichambriren zu sehen.
Die Gedichte eines Grafen Krastinik zu veröffentlichen, konnte dem »Bunten Allerlei« in jedem Fall nur als Folie dienen.
»Ja,« sagte er, »geschätzter Graf, Ihre Verse haben mir wohlgefallen, gewiß. Ich erkenne in denselben jene wohlthätige Mischung von Idealismus und Realismus, welche ich vertrete. Lesen Sie darüber die trefflichen, vornehm gehaltenden Artikel eines Heinrich Edelmann und
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