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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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bildete einen Grundpfeiler seines Ansehens bei den Gläubigen »Jungdeutschlands«. Diese Litteraturstudenten verehrten diesen würdigen Meergreis, Ambrosius Sagusch (man leitet hieraus einfach »Sagus« ab), wie einen heiligen Vater. Wenn er so mit Pfingstapostelzungen zu säuren anhob, verehrte man ehrfürchtig eine neue Apokalypse, eine Offenbarung Johanni in ihm. »Im Anfang war das Wort und das Wort ward Fleisch« – was Wunder also, daß er während seiner Wortspendung mit würdevollem Bedacht diverse Fleischgerichte zu sich nehmen mußte, deren Werth in irdischem Mammon nachher auf gemeinschaftliche Kosten seiner Verehrer festgestellt wurde.
    Kurz, Ambrosius Sagusch blieb eine naive kindliche Seele und schnorrte grundsätzlich gleich beim ersten Mal. Hierin war er Doctor Heinrich Edelmann überlegen und wich von dessen Spinnen-System beträchtlich ab, welches langsam, aber sicher seine Fliegen umgarnte. Obschon daher Jeder von Beiden über den Andern offiziell urtheilt, derselbe sei »ein vornehmer idealer Geist«, herrschte doch eine verkniffene Animosität zwischen dem Sagus und den verbrüderten Weihepriestern, welche von kleinlichen Seelen vielleicht als Geschäftsneid ausgelegt werden konnte. »Ah, lieber Graf, bist Du da?!« rief Sagusch, indem er den Grafen zärtlich umarmte, der darüber etwas betroffen schien. »Ich habe schon viel von Dir gehört. Deutschen Gruß und Handschlag! Warum sind wir alle so kalt? Warum fliegst Du nicht in meine Arme?«
    »Ich danke Ihnen, werther Herr ...« stammelte der Graf erstaunt. Aber da grollte ein gewisser Unmuth in des Sagus Seherstimme, als er, die Jupiterlocken schüttelnd, losknurrte: »Neune mich doch Du!«
    Krastinik verbeugte sich verlegen, wurde aber eiligst von einigen Litteraturstudenten über die ihm zu Theil gewordene Ehre belehrt. Der Sagus, welcher die Wurzeln alles Übels zugleich auszurotten wußte, verpönte nämlich das neumodische »Sie«. Dafür sagte er zu Frauen »Ihr,« zu jungen Leuten »Er« und zu auserkorenen Schlachtopfern »Du«. Man fand das riesig originell, wie es einem Riesengeiste geziemt, dessen Roman-Ungethüm »Die Strohmer« an die schönsten Dunkelheiten des seligen Mystikers Hamann gemahnte.
    Der löbliche Verein » Drauf « schien vollzählig versammelt und die Versammlung konnte nun losgehn. »Wer ist denn das da?« fragte Krastinik plötzlich, »Der da am andern Ende mit dem düstern Blick und der ausgearbeiteten Stirn, der so lebhaft plaudert?«
    »Ach, das – ist Leonhart!« machte Edelmann gedehnt. »Wie der sich nur heut herverirrt hat! Er war doch noch niemals hier.«
    »Ja, er hat einen jungen Frischling mitgebracht, der hier eingeführt sein wollte. Wieder mal Einer von seinen Protegés. Wie lange wird's dauern! Sie müssen wissen, lieber Freund,« wandte sich Haubitz an den Grafen, »dieser Leonhart – ein Bramarbas und Aufspieler ohne alle und jede Begabung – hängt in seiner trostlosen Unreife eben stets von den Anregungen ab, die ihm von Andern zugetragen werden. Was er heut feierlich in den Himmel hebt, erklärt er morgen für den ungeheuerlichsten Unsinn. Heut entdeckt er ein Genie, morgen ist's ein dummer Junge.«
    »Ja, so ist's!« versicherte Edelmann mit einem wohlwollenden Mitleidsseufzer »Der arme Leonhart! Da hat er jüngst ein Drama geschrieben ›Nemesis‹ – da hat ihn aber die Nemesis gehörig ereilt. Ein trauriges Opus
à la
Grabbe. Er ist ...«
    »Ah, meine theuren Herrn Waffenbrüder!« unterbrach ihn eine tiefe Stimme von eigenthümlich vibrirendem Wohlklang. »Ich erlaube mir hier, Ihnen einen Collegen vorzustellen, der Ihre Bekanntschaft zu cultiviren wünscht: Herr von Lämmerschreyer.«
    Leonhart war. herangetreten und präsentirte dabei einen jungen Menschen, der sich das Air eines Offiziers in Civil gab und sehr elegante Verbeugungen cultivirte. Aus seiner Uhrkette baumelten eine Reihe Medaillons und sein hellgrauer Anzug wurde durch einen weißen Hut vorteilhaft gekrönt. Ein glänzender Wirbelscheitel legitimirte ihn als Inhaber eines wandelnden Bürstenladens. Seine griechische Nase und seine niedrige Stirn liefen ineinander über, seilt kleiner lüsterner Mund athmete brutale Geilheit, seine Schlangenäuglein zwinkerten verschmitzt frech, halb von dem breiten Augenlid bedeckt wie Schweinsaugen. Seine aufgedunsenen Backen und sein stattlicher Leibesumfang befähigten ihn zum Hamletschmerz, obschon er grade keinen Vater zu rächen hatte. Doch »fett und kurz von Athem sein« ist

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