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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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bedeutend. Aber ›sociale Romane‹ will der schreiben? Lächerlich! Hat der je ein Berlinisches Lokal-Sittenbild geschrieben, wie ich schon mit zwanzig Jahren? Und das ist doch das einzig Wahre!« Als der Andere nicht recht mit der Sprache herauswollte, fuhr er verdrossen fort:
    »Dieser Mensch! War der Stammgast je in einer Droschkenkutscher-Destille wie das Kind im Hause? Das ist mein größter Stolz. Noch nicht ins Leben hineingespuckt hat er! Immer die Taschen voll Geld gehabt! Nein, der vermag nicht das Leben zu erfassen. Das ist meine ehrliche Meinung, an der ich erst wankelmüthig werden werde« (er meinte, in grammatisches Deutsch übersetzt: »die erst wankend wird«), »an dem Tage, wo er gehungert haben wird wie ich.«
    »So, hast Du schon mal gehungert?« fragte Sagusch trocken. »Beiläufig leih mir doch mal fünf Mark bis morgen!« (Unter morgen verstand der zukunftschauende Prophet des Jüngsten Deutschland natürlich das Jüngste Gericht.)
    »Bedaure, bin selbst nicht bei Kasse!« lachte Schmoller auf und verzog sich eilig, indem er den Hohngesang anstimmte:
     
    »Nenne mich Du! Nenne mich Du!«
     
    ... »Ein großartiger Kerl, der Schmoller,« dachte Leonhart. »Und wenn er auch ein Schweinehund sein mag, er hat sicher auch gute Seiten. Allerdings bleibt er ewig in seiner beschränkten Sphäre kleben. Ueber all solchen Detailarbeiten thront aber die kosmische Individualität in ihrer umfassenden Bedeutung, in der wie in einem Brennspiegel alle Strahlen des Realismus sich einen. Hocherhaben über neidisches Gekläff wie über die Blindheit unreifer Philister, schreitet die große Dichtkunst der Zukunft, des idealen Realismus und realen Idealismus, ihre dornige nebelverhüllte Bahn hinauf zum Gipfel des Berges. Haltet den Mund und arbeitet! Das möge sich Jeder zurufen der sich berufen fühlt zum großen Werk der Erneuerung.«
    Er dachte dies mehr unbewußt. Ader hätte ihn Jemand gefragt, wen er sich unter der kosmischen Individualität vorstelle, so wäre er entweder die Antwort schuldig geblieben oder hätte sein Erhabenheitsgefühl zu der unerschrockenen Offenheit gesteigert: Mich selbst .
    Allein, ein dunkles Gefühl seines Größenwahns drängte sich ihm dennoch auf und er erwog mit ruhigem Stolz, ob er an wirklicher Größe oder an Größenwahn kranke, ob er seine unleugbar hohe Bedeutung am Ende nicht doch überschätze. Konnte er nicht bloß der Marlowe eines Shakespeare sein? Wozu theoretisirte er noch so viel? Das sollte das Genie doch nicht thun. Vielleicht weilte der wahre große Dichter der Zeit noch unbekannt in unsrer Mitte, und wandelte schweigend in den Werkstätten umher, auf daß des Dichters Wort erfüllet werde:
     
    »Der König Karl am Steuer saß, der hat kein Wort gesprochen ,
    Er lenkt das Schiff mit festem Maß, bis sich der Sturm gebrochen .«
     
    Allein in solchen Erwägungen tröstete den jungen Dichter immer wieder sein Schicksalsglaube, der durch Geschichtsbetrachtung und eigene Lebensschicksale in ihm eingewurzelt und gereift war. Was sein soll, soll sein; man wird ja sehn. Wer groß ist, wird nicht klein, ob auch alle Welt ihn klein machen möchte. Wer klein ist, wird nicht groß, ob er auch aller Welt seine Größe aufschwätzt. Nicht der Erfolg, sondern das Urtheil der Nachwelt entscheidet. Außerdem – im Grunde wird doch Jedem, was ihm gebührt. Ausnahmen bestätigen die Regel. Man denkt wohl: Wieviel Cromwells als Landbebauer, wieviel Shakespeares als Dorffiedler, wieviel Moltkes als zur Disposition gestellte Majore, wieviel Rafaels als Zeichenlehrer enden – aber hat man je dafür einen strikten Beweis erbracht? Wie ließe sich das beweisen? – Die Wahrscheinlichkeitsberechnung ergiebt freilich, daß meist nur das Mittelmäßige und das sehr Gute in der Welt leicht Erfolg haben kann, das Gute viel schwerer. Jedoch, auch dagegen ließe sich viel einwenden. – Ist ein sogenanntes »Genie« liederlich und faul und kommt daher nicht zur Entwickelung, so ist es auch kein wahres Genie. Ein faules Genie ist in sich ein Unding. Und die äußeren Hindernisse? So manche Erfahrung lehrt (man sah es noch zuletzt an Bismarck und an Richard Wagner), daß eine höhere Führung, woher auch immer sie stamme, die Erkorenen aus Drangsal, Noth und Niedrigkeit siegreich zu den Höhen der Macht und des Ruhmes emporführt. Es giebt ein Schicksal . Ihm soll man sich demüthig anvertrauen, es wirds wohl machen. »Betet und schüttet frisch Pulver auf die Pfanne,« »dem Tapfern

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