Größenwahn
hilft das Glück« – diese Sätze sind nicht nüchtern und skeptisch aufzufassen. Die »Virtus« (nannten die Alten doch »Tugend« und »Muth« so richtig mit dem gleichen Namen) und die »Fortuna« bedingen einander innerlich. Gott läßt den Braven nicht sinken. Schlummert unter den Lumpen eines Bettlers, eines Derwisch, ein geborenes Herrschergenie – so wird Allah dies zum Padischah machen, auf die ein oder die andere Art. Jeder erreicht seine volle Bestimmung, ob so oder so. Wozu also der eitle Größenwahn! Größe ist Größe und bedarf keines anderen Freundes und keiner Ermunterung – denn das Schicksal steht ihm zur Seite.
»Ich habe so viel von Ihnen gehört und will mich min an die Lectüre Ihrer Werke machen, damit ich ein ehrliches unabhängiges Urtheil gewinne!« hob Krastinik plötzlich an.
Beide kamen an einem Tingeltangel-Keller vorbei. Aus der Tiefe tönte der Refrain des schönen Blödsinn-Hymnus: »Constantin – Constantin – Constantino – pel« und das nicht minder herrliche Lied:
»Mach' mir nur keine Wippchen vor, Wippchen vor –!«
Leonhart lachte leise. Es war ein stoßweises häßliches »Hähä!«, in dem man den ganzen Stachel einer verbitterten Seele spürte, die einst unter den Stacheln der Welt geblutet. Oft lag in seinen leichten höflichen Worten ein ätzender Hohn, der gleichsam spielend traf.
»Mach' mir nur keine Wippchen vor!« summte er halblaut vor sich hin.
Krastinik verstand. »Sie mißtrauischer Mensch Sie! Ich wiederhole Ihnen, ich will mir doch selbst ein Urtheil bilden. Welches Ihrer Werke empfehlen. Sie mir zur ersten Lectüre?«
»Alle!« erwiderte Jener lakonisch.
»Alle? Das ist etwas viel.«
»Bedaure. Meine Werke bilden in sich ein System, ein zusammenhängendes Gebäude. Lassen Sie eins aus, haben Sie nicht mehr den ganzen Dichter.«
Krastinik schwieg einen Augenblick. »
Bien,
werde Ihren Rath befolgen. – Nun sagen Sie mir aber mal offen: Was halten Sie von der litterarischen Gesellschaft Berlins?«
Leonhart antwortete nicht. »Ah, hier sind wir vor Ihrem Logis, Herr Graf,« sagte er ausweichend. »Gute Nacht.«
»Oho, so entkommen Sie mir nicht. Was halten Sie z.B. von
Dr.
Adolf Kratzenthal?«
»Hm!«
»Und von Herrn voll Schnapphahnitzkoi und von Doctor Gotthold Ephraim Wurmb?«
»Sie meinen kurzum, von der ganzen Blüthe unsrer Journalistik und Geschäftsfabrikantenlitteratur?« Leonhart drückte dem Grafen die Hand zum Abschied und entfernte sich eilig mit großen Schritten, nachdem er das eine bedeutungsvolle Wörtchen geflüstert: » Dreck !«
»Hochverehrter Meister,
Gestatten Sie, daß ich Sie so anrede! Ich bin noch ganz außer mir! Gestern Abend habe ich die Lectüre Ihrer sämmtlichen Werke geschlossen und bin noch weg und paff davon! Ich wollte Ihnen nicht eher schreiben, bis ich Alles verdaut hatte. Ja, alles! Sofort, am andern Morgen nach unserm Gespräch, machte ich mich zum nächsten Sortimenter auf (nicht zur Leihbibliothek) und kaufte (– wird man mir als dem letzten bücherkaufenden Deutschen nicht eine Bildsäule setzen? –) Ihre Bücher
en bloc.
Ueber Schwächen und Mängel im Einzelnen läßt sich ja rechten. Der Gesammteindruck aber ist der: An Größe der Anschauung, an allgemeiner Productionskraft stehn Sie ohne Gleichen unter den Lebenden da. Sollte ich denn wirklich der Erste sein, der das entdeckt und der das ausspricht? Sollte es möglich sein, daß alle Welt mit Blindheit geschlagen ist, das nicht zu sehen, was doch so klar vor Augen liegt? Wahrlich, ich werde irre an der Welt oder an mir selbst! Helfen Sie mir, dies Dilemma enträthseln! Bis dahin aber seien Sie versichert der steten Bewunderung Ihres (will's Gott) getreuen Schildknappen und Wagenlenkers.«
Xaver Graf Krastinik .
Mein lieber Graf Krastinik,
Ihr Schreiben hat mich gerührt und bin ich Ihnen dafür zu Dank verpflichtet. Allein Ihre schmeichelhafte Verwunderung reizte mich – verzeihen Sie meine Offenheit – zu stiller Heiterkeit. Nehmen Sie es als etwas Ehrendes , wenn ich Ihnen zurufe: Ach, sind Sie noch grün !
Die sogenannten Schriftsteller, sowohl die ungeheure Menge der Mittelmäßigen als auch die wenigen Bedeutenden, zerfallen moralisch in drei Kategorieen (Ausnahmen bestätigen nur die Regel): die Schurken, die Lumpe und die Dummköpfe. Die Schurken verfolgen mit allen Mitteln lediglich ihre Privat-Interessen, die Lumpe haben gar keine Meinung und die Dummköpfe eine Meinung, welche meist noch
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