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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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schlüpfrigen Gestein unter den eiskalten Rinnen-Sturz gelangte, glitt er aus und fiel der Länge nach hin. Rasch von der Betäubung erholt, fand er, daß der Fall ihn wunderbarerweise sonst nirgends verletzt, ihm aber aus dem rechten Knöchel ein groß Stück Fleisch herausgeschlagen hatte, ohne den Knochen zu verletzen. Das Blut floß in breiten Strömen. Dem Ammenglauben, kalt Wasser stille die Blutung, folgend, hielt er den Fuß ins Wasser und kroch mittlerweile unter die Rinne um das Bad wenigstens zu vollenden. Dann schlich er aus Ufer zurück, trocknete sich rasch mit dem Laken und wickelte dies dicht um den Fuß. Hierauf zog er sich an, und humpelte, den wunden Fuß möglichst hochhaltend und schonend, den steilen Pfad in glühender Sonnenhitze zurück. Droben im Wirthshaus lief man zusammen, war entsetzt über die tiefe Wunde, brachte ihn zu Bett und fing an mit Karbolsäure-Umschlägen zu hautiren. Es kam noch immer Blut. Man meinte, er werde ohnmächtig werden. Dies trat jedoch nicht ein. Aber wie er mit der passiven Hartnäckigkeit seines Charakters bei dem unerwarteten Unfall keinen Augenblick gejammert und mit verbissener Besonnenheit das Nöthige ausgeführt hatte, so lag er jetzt düster mit geballten Fäusten da und murrte wider sein Schicksal. Das konnte nur ihm passiren, dem ewigen Pechvogel! Sein Leben schien dazu bestimmt, stets und immer verpfuscht zu werden. Mit dem Fährtensuchen war es jetzt aus. Er mußte wochenlang auf dem Fleck liegen. Seine ganze Reise unnütz und vereitelt! Und als er in steigendem Trübsinn sein stetes Mißgeschick sich immer deutlicher einredete, fühlte er plötzlich wiederum den Stich in der Brust, der vom rechten Schulterknochen her durch die Brust-Weiche seitwärts in die Lunge bohrte.
    Er betastete die Stelle langsam und bedächtig; dann holte er tief Athem und empfand denselben leichten Schmerz aufs Neue. Nochmals in Natura seine Brustweite mit der Hand messend, erkannte er sodann, daß er wirklich bedeutend abgenommen hatte und sein Brustkasten ordentlich verschmälert schien: So furchtbar hatten ihn die abzehrenden Aufregungen des letzten Jahres mitgenommen.
    Am andern Morgen erschien ein Doctor, den man herbeigeschafft. Derselbe prüfte die Wunde, schnitt ein bedenkliches Gesicht und urtheilte, der Patient habe »schlechtes Fleisch« in Folge mangelnder innerer Bluternährung. Er nähte die Wunde mit vier Nadeln zusammen. Da er als Deutschenfeind die süßsaure Bemerkung machte, der Herr aus Berlin werde gewiß als Preußischer Allesbesserkönner auch den Schmerz leichter verwinden, so ließ Rother lautlos die Eisenstäbchen durch die Wunde bohren. »Mein Complimang! Der Herr sein ikke (nicht) furchsam,« gestand der Skandinave zu.
    In dieser dumpfen stoischen Resignation lag Rother bis zum Abend regungslos da, weil ihm verboten, das Bein zu rühren, nachdem er sich mühsam angekleidet. Das Bett stand am Fenster, er konnte hinaus blicken und sah den Schaum des mächtig rauschenden Hönevoß in die Luft sprühen. Stier und theilnahmlos verfolgten seine Augen das Spiel der Wellen, seine Lippen schienen so starr zusammengekniffen, als wollten sie wie ein bleiernes Siegel ein Geheimniß hüten. Das Sprechen fiel ihm schwer. Ein Trapist des Schmerzes, schien er ein unhörbares
»Memento mori«
zu murmeln. Alles Andere vergessen. Da plötzlich fuhr er auf. Was war das? Welche Stimme! Er hob mühsam den Kopf und starrte hinaus auf den Weg, der am Fall entlang führt. Ihm war, als erhielte er einen Faustschlag aufs Herz. Ja, da schritten sie Beide engverschlungen am Wasserfall entlang. Es war keine Spiegelung, sondern nüchterne Wahrheit.
    Sie, die er suchte – so nahe vor ihm – Beide! Er wollte aufschreien, doch die Zunge klebte ihm am Gaumen. Er konnte nur sehn und hören – ganz Auge und Ohr, stumm, als habe jäher Schreck ihm die Sprache geraubt.
    Eine Nachtigall flötete in einem Fliederbusch am Hügel, unverschüchtert durch das rauschende Singen des Wasserfalls.
    Hinter den Beiden da unten wandelte ein Wald-Kater mit buschigem Schweif dahin – ein Abkömmling jener Race, die von den Warägern aus dem Morgenlande importirt wurde. Sein sanftes Minnegreinen stimmte zu dem flennenden Geschlechtsschmerz des Nachtigallmännchens, dem ab und zu das Weibchen mit lockendem Tiotö antwortete. Doch schielte der würdige Kater mit einem Schnurrbart wie ein Husarenrittmeister mit falschem Zwinkern und Blinzeln der grünschillernden Aeuglein nach dem Nest des

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