Größenwahn
niederschlagen! Es wird ja schon besser werden!« tröstete ihn wohlwollend ein sogenannter »talentvoller Schüler« – einer von jenen, die im späteren Frust-Kampf des Lebens spurlos verschwinden. Rother drehte sich um und warf ihm einen vernichtenden Blick zu: »Besser zu straucheln wie ich, als zu marschiren wie Du!«
Von der Stunde an galt es als unumstößliche Wahrheit, daß er an unheilbarem Größenwahn leide.
Am selben Abend kneipte er mit einigen Verbummelten bis tief in die Nacht hinein und kam taumelnd nach Hause. Der Mond, der ihn gut kannte, mußte sich über ihn wundern. Sturmnacht, die Eichen des Humboldthains bebten. Er aber schritt immer fürbaß in die Finsterniß und wünschte, daß Einer ihn anfiele. Das wäre ihm gerade recht gewesen.
Früh am Morgen stand er auf und begann sofort ein neues Bild.
Da er gehört hatte, es gehöre zur künstlerischen Inspiration, daß man sich ernstlich verliebe, so suchte er nach einem Objekt. Dies fand er in einem hochaufgeschossenen Mädchen mit lebhaften sinnlichen Zügen, der Tochter eines Kommerzienrath Eisenbaum, der im Hause seiner Eltern verkehrte. Sie war eine sogenannte Jugendfreundin, mit der er sich viel herumgebalgt. Aber die kluge schnippische Ella, die ihn so herzlich verspottete, als er ihr einmal auf einer Landpartie eine Wasserblume pflücken wollte und dabei ins Wasser plumpste, mußte er ja jetzt als Dame behandeln mit ihren fünfzehn Jahren, um so mehr sie weit über ihr Alter entwickelt schien und schon Brüste ansetzte. Er schnitt ihr also die Cour, nur zu sehr. Denn er besuchte Eisenbaums unter allerlei Vorwänden viel zu oft, so daß es auffallen mußte. Ella absolvirte ihren zweiten Tanz-Cursus, dieses wichtigste Stadium im Leben der Höheren Töchter. Ihr Interesse lenkte sich merklich ab. Und einmal, als sie sich leicht zankten, fragte ihn die junge Schönheit: Er sei wohl fast nie zu Hause? Er that, als merke er diesen wuchtigen Hieb mit dem Laternenpfahl nicht; aber er beschloß sie schrecklich zu strafen – nämlich plötzlich ganz auszubleiben. Seine harmlose Einbildung spiegelte ihm vor, daß sie das schwer empfinden und durch seine scheinbare Gleichgültigkeit ihre Liebe geweckt werde müsse. Er glaubte an diese zweifelhafte Theorie, die er mal in dem spanischen Lustspiel »Donna Diana« (Reklam'sche Universalbibliothek, andere Bücher über 20 Pfennig las er als echter Deutscher nicht) gefunden hatte.
Die Eisenbaum'sche Villa, nahe der Eisenbaum'schen Fabrik am Rosenthaler Thor, lag in der Nähe. Auf seinem Weg zur Akademie fensterpromenirte hier der schmachtende Courmacher stets vorüber. Einmal sah er auf der andern Seite Herrn Eisenbaum mit seiner Tochter spazieren gehen. Der Athem stockte ihm und das Blut trat ihm zu Herzen. Doch er richtete den Blick gradaus und ging im Sturmschritt. Auf der andern Seite der Straße hörte er leises sichern. Sein Gehör war ungewöhnlich scharf, wie es bei abnorm nervösen Naturen häufig der Fall. Obwohl er sonst kein Wort verstand, vernahm er doch genau, wie Herr Eisenbaum seiner Tochter bemerkte: »Da geht Dein genialer Courmacher!« Ella lachte. – Er that, als sähe und hörte er nichts, beschloß aber feierlich, dies Haus nie wieder zu betreten.
Diese Selbstbestrafung führte er dann auch hartnäckig durch. Wie gewöhnlich in dieser Alterszone, unter dem Wendekreis des forschen Penälerthums, glaubte er durch doppelte Ungezogenheit zu imponiren. Spazierte er mit seinem glorreichen Intimus Eugen Wolffert stolz die Straße entlang und begegnete zufällig den Eisenbaums, so grüßte er von oben herab. Traf er Eisenbaums bei seinen Eltern, so stellte er sich tief beleidigt, daß Seiner Magniferenz nicht mehr Ehre erwiesen werde.
Aber was half ihm das Gefühl seiner jugendlichen Erhabenheit! Der Traum der ersten Liebe ließ sich nicht abschütteln. Als Kind und Knabe wird ein geistreicher Mensch von der unbestimmten Sehnsucht der Pubertät erzeugt. Es gilt sich selbst erziehn. Oft deklamirte sich der drollige Kunstjüngling damals das Heine'sche »Madame, ich liebe Sie!« vor, ließ dabei das Buch zur Erde fallen und übte sich auf Kniefälle ein. Dabei dachte er natürlich nur an seine stolze Ella, welcher er einst mit dergleichen Kunststücken seine ewige Liebe deklariren wollte. Diese Phantasieen knabenhafter Pubertät wurzelten sich immer mehr zur fixen Idee ein. Zum Glück stirbt man nicht daran.
Um diese Zeit beschäftigte ihn natürlich die sociale Frage. Er wählte zu
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