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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Meistersingers, das dieser mit der üblichen Weltklugheit des Idealisten viel zu niedrig und schief am Dornengeheg gebaut hatte.
    O Natur, weise Lehrerin, die nach festen Gesehen das Sein aller Lebeweisen ordnet! Die Katze schleicht und lauert, die Nachtigall singt in brünstiger Seligkeit und wird gefressen. Nur die Liebe besaitet diese Liederkehle – ist das Pärchen getrennt, so ists aus mit allem Gesang.
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    Unter dem Fenster in der Nähe stand eine Bank. Dort schienen die zwei Glücklichen sich niederzulassen. Nur abgerissene Sätze des Gesprächs drangen zu des Lauschenden Ohren. Es ergab sich daraus, daß sie aus Thelemarken zurückgekehrt, soeben hier angekommen, gleich jetzt am Abend nach Süden weiterfahren wollten. Sie warteten nur auf das Anschirren des Wagens, der sie zur Station bringen sollte. An welchen Zufällen hängt das Leben! Hätte der Zugführer neulich Rother aufmerksam gemacht, daß der Zug sofort losdampfe, so wäre dieser wahrscheinlich nie auf die Gesuchten gestoßen, und der unglückliche Fall mit der Wunde that das Uebrige dazu.
    »Also, Kathi, wir reisen sofort über Jütland durch nach Hamburg und lassen uns trauen.« Sie saß abseit, halb abgewandt, den Kopf auf den Arm gestützt, ihr Busen hob sich in schweren Wallungen.
    »Ach, süßer Eugen, aber.. ist denn das möglich?«
    »Wer soll uns hindern! Wir sind majorenn. Civiltrauung gilt heut wie jede andere.«
    »Ach ich kann's noch kaum ausdenken! Was wird Deine Familie ...«
    »Laß sie schnattern, die Muhmen? Ich will Die als mein Weib an meiner Seite sehen, die ich zur Mutter meiner künftigen Kinder erkor. Das giebt eine Race – was, Kathi?«
    Man hörte den langen vorschmeckenden Kuß durchs eintönige Rauschen des Falls.
    »Und ... und ... ich habe Dir nun alles gebeichtet ... die Geschichte mit dem Rother ... ich würde mich todt schämen ...«
    »Dies überlaß Du mir! Der soll Dir nichts anhaben!«
    »Ach, das wird er wohl gar nicht wollen. Dazu ist er zu anständig. Ich kann nicht herzlos sein, er thut mir leid. Ich fühle für ihn.«
    »So? Oho!«
    »Ja, freundschaftliche Gefühle.«
    »Larifari, werden wir schon unter uns Männern arrangiren. Holla, da hör' das Pfeifen des Kutschers. Wir sollen kommen. Adios, Hönevoß!«
     
    Ja, Freundschaft, Freundschaft! Ist das genug zwischen Mann und Weib? Liebe ist etwas Anderes, ganz Anderes, es ist das Ur-Prinzip der Schöpfungskraft. Venus Vulgivaga und Venus Urania, wahre und falsche Liebe, Sinnlichkeit und transcendentaler Idealismus – Alles verflochten in eins.
    Verflucht sei dieser Liebe Raserei, die mich zermalmt! – Nach Deiner Freundschaft frag' ich nicht.
    Verflucht die Stunde, da ich Dich zuerst gesehn! Ich wußte ja, der Gram sei meine Braut. – Nach Deiner Freundschaft frag' ich nicht.
    Umsonst der Kampf und der eitle Wahn. Gegen den Strom ringt nur ein Toller. – Nach Deiner Freundschaft frag ich nicht.
     
    Auch der Schmerz macht sich noch Illusionen. Ger über die Versagung der Herzenssehnsucht verzweifelt, versteckt noch einen kindlichen Optimismus. Welche Ueberschätzung eines Lebensgutes, es der Verzweiflung würdig zu halten! Dies Leben, diese Episode, ist doch kein tragisches Epos, es ist höchstens eine Jobsiade.

    Und doch – welch ein grauenhaftes Gefühl des Erstickens, mit einem heimlichen allbeherrschenden Gefühl umherzuwandeln, das doch kein Anderer kennt! Wahre Liebe ist immer einsam, wie die wahre Größe. Nur die sinnliche Leidenschaft zeigt sich offen.
     
    Seine ganze Vergangenheit zog an ihm vorüber, seine ganze Jugend. Und aus jedem Winkel derselben schien ihm entgegenzukichern: Narr! Narr! Verfehltes Leben!
    Er war ein einziger Sohn. Sein Vater, ein Musiker voll bedeutendem Ruf, ein Idealist. Die schrecklichste aller zehrenden Krankheiten, den Idealismus, erbte er also schon von Geburt an. Die geistige Atmosphäre, in der seine Kindheit aufwuchs, Grundzug und Lebensanschauung seiner Familie: ein ästhetischer Idealismus. Gewohnheit und Umgebung bestimmen den Menschen. Der kleine Eduard fühlte gar bald in sich eine künstlerische Mission. Mit seinen Beinchen in der Luft zappelnd, arbeitete dieser niedliche Genius im Schweiß seines Angesichts auf dem Clavier herum und entlockte den Tasten unaussprechliche Töne.
    »Die Lorbeeren seines Vaters lassen ihn nicht schlafen!« schmunzelte ein ironischer Kritiker, im Genuß dieses

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