Größenwahn
verantwortlichste . Und gerade darum sei es erlaubt, ein wenig über die berühmte deutsche Erziehung zu plaudern.
Erziehung kann, soll und muß zwei Ziele erreichen: Ausbildung des Geistes durch wohlverdautes Wissen und moralische Ausrüstung für den Kampf des Lebens. Sehen wir zu, wie die berühmte deutsche Schule diesen Aufgaben gerecht wird.
Was macht im Leben den gebildeten Mann, der zu höheren Gesichtspunkten Stellung zu nehmen weiß? Kenntniß der Geschichte und Litteratur . Ebenso nothwendig, wenn auch nicht so bündig verlangt, sind geographische und Sprachkenntnisse, wovon Englisch und Französisch fast unerläßlich. Die Kenntniß der eignen Sprache, ein erträglich guter Stil, wird als selbstverständlich angenommen.
Wohlan, welche dieser landläufigen Vorstellungen von Bildung erfüllt ein deutscher Student? Keine .
Seine Kenntnisse in ethnographischer Völkerkunde sind miserabel. Begreiflich. Wer hat ihm je die für die moderne Weltbildung unerläßliche Kenntniß der nationalen Eigenarten und Unterschiede beizubringen gewußt? Dies banausische und profane Wissen zu erlernen, überläßt die Schule halt dem Leben , das denn allmählich, durch Reisen, durch Lectüre, (oft aber auch gar nicht) den wüsten Unrath traditioneller Vorurtheile aus dem Schädel entfernt. Die Ströme in Hinterindien hat er freilich auswendig gelernt. Ja, ich schwärme heute noch für Bramaputra und Irawaddie – von der Ethnographie, von der Flora und Zoologie jener Tropenländer habe ich freilich auf der Schule nie das Geringste erfahren. Wenn ich nur die Nebenflüsse des Ganges kenne! Um kurz zu sein, der Unterricht in der Erdkunde nach jeder nützlichen Richtung hin ist gleich Null. Wenn der Schüler nur nach dem Leitfaden hübsch auswendig lernt und der Lehrer auf dem Katheder schlafen kann – das bleibt immer die Hauptsache.
Die geschichtlichen Kenntnisse? Ein gräßliches Spinnennetz von Jahreszahlen und aneinandergereihten unerklärten Begebenheiten umklammert den armen jugendlichen Kopf und saugt ihm für immer und ewig jedes Interesse an der Geschichte fort. Jene wenigen schätzbaren Geister nehme ich aus, die wie Faust's Famulus mit unendlichem Behagen im Pergamentstaub der historischen Spezialforschung wühlen und oft mit krasser Unwissenheit im Ueberblick der allgemeinen Weltgeschichte eine wundervolle Werthschätzung ihrer eigenen Maulwurfsweisheit in »Quellenforschung« vereinen. Für diese Lumpensammler der Historie mag allerdings gerade der biedere stramme Daten-Unterricht besonders bahnweisend gewesen sein. Aber aus solch bevorzugten Geistern, welchen etwa eine Monographie über einen hohlen Zahn des Königs Ramses gelingt, besteht doch nur ein Millionstel der Unterrichteten. Entschädigt uns die erquickende Anregung solch künftiger »Quellenforscher« für die ertötende Qual, mit dem das geistlose öde Repetiren den jugendlichen Geist niederdrückt und ihm für immer unüberwindliche Abneigung gegen alles Historische einflößt? Ja, nicht einmal in jenem rohen Ballast von Auswendiglerne-Pensum sind Sinn und Ordnung zu erkennen. Zwar lernt der Deutsche verhältnißmäßig mehr von der Geschichte andrer moderner Völker, als diese von der unsern, obwohl mir auch dies Maß ein recht geringes erscheint und der deutsche Durchschnittsgebildete doch wenig Grund hat, sich über die Ignoranz der Engländer und Franzosen in dieser Hinsicht aufzuhalten. Aber während seine eigne Geschichte natürlich ganz wüst und ordnungslos, ihm spärlich und bruchstückweise vorgekaut wird, so daß er wohlweislich von diesem bösen Jahrhundert nichts zu hören bekommt, – werden ihm die Cantönlifehden der Griechen und Römer in einer Breite und mit einer Selbstgefälligkeit vorgetragen, als hinge das Wohl der ganzen Bildung davon ab, wie Cäsar's Legaten, Tribunen, Centurionen und Primipile geheißen. Ebenso fordern dieselben Erzieher, welche die deutschen Gesetze und politischen Constitutionen ängstlich zu behandeln vermeiden, unbedingteste Kenntniß der Gesetze des ehrwürdigen Servius Tullius – um so ehrwürdiger, da er nie gelebt hat – und die Gesetzveränderungen je nach Stand der Parteien werden mit allen Klauseln unauslöschlich dem Gedächtniß eingeprägt.
Bravo! Deutscher Student, kennst Du die
Declaration of human rights?
Kennst Du die Verfassung des Englischen Parlaments? Nein. Kennst Du die
Déclaration des droits de l'homme?
sowie die Decrete des National-Convents? Nein. Kennst Du endlich die
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