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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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politischen Gesetze, um welche Deutschland seit Napoleon rang? Nur in nothdürftigen Phrasen. – Aber man frage Dich von der
lex Acilia de repetundis
bis zur
lex Voconia
das ganze alphabetische Verzeichniß der
leges
durch – da bist Du zu Hause.
    Und das auch nur, falls Du ein strebsamer und erfolgreicher Lernender gewesen – was ich immer zur Voraussetzung nehme, obschon noch nie ein origineller selbstthätiger Geist der deutschen Gymnasialbildung das Geringste verdankt hat, ja verdanken konnte . Denn selbst die Kenntniß der Antike flösse den Wenigen, die derselben bedürfen, auf dem Wege des Selbststudiums in kürzerer Zeit viel gründlicher zu. Wer wäre je auf der Schule in den wahren Geist der antiken Dichter und Geschichtsschreiber eingedrungen, da die Repetition der »unregelmäßigen Verba« daran hindert! Die lateinische und griechische Grammatik , nicht die Litteratur, derentwillen angeblich die todten Sprachen gepflegt werden, trägt der deutsche Gymnasiast nach Hause. Und dieser Formelkram, der den Geist ertötet, setzt sich auf der Universität fort. Die Studenten, die nicht einzig irgend einem Brodstudium fröhnen, sollen mit ihrer allgemeinen Unwissenheit von geschichtlichen Vorlesungen profitiren, welche irgend einen kleinen specialistischen Winkel-Abschnitt der Historie behandeln, den man in Wahrheit nur durch überschauende Kenntniß der allgemeinen historischen Verhältnisse begreifen könnte. Wo man aber gar einen »Lehrstuhl der Aesthetik« amtlich besoldet, da wird der angehende Bierphilister durch widerliche Shakespeareomanie und Goethepfafferei um den letzten Gran gesunden Urtheils und natürlicher Empfindung gebracht. Ein künftiges Jahrhundert wird darüber richten, ob die einseitige deutsche Gelehrsamkeit die Nation nicht vielfach in Entfaltung ihrer Kräfte gehemmt habe. Das Buch der Bücher, die Weltgeschichte, lehrt, daß aller vernunftwidrige Unsinn eines Tages seine Grenze findet.
    Ich verlasse hier den Größenwahn des deutschen Schulmeisters, der als würdiger Bruder des Unteroffiziers und geistiger Knote jede freie Geistesentfaltung zu nivellirender Uniformität herabdrillen möchte. Jetzt wende ich mich zum Schluß einigen allgemeinen Beobachtungen über den deutschen Nationalcharakter zu.
    Wir verstehen diesen am besten, sobald wir den französischen und englischen zum Vergleich heranziehn.
    Der Franzose ist ein Sanguiniker. Mit leicht beweglicher, jedoch rein in die sinnliche Wahrnehmung gebannter Phantasie verbindet er im Ganzen eine erstaunliche Kälte des Herzens. Er ist grausam, unbarmherzig im Verfolgen egoistischer Pläne und Leidenschaften, zu welchen besonders seine phänomenale Sinnlichkeit zu rechnen ist, brutal im Besitze der Macht und wesentlich nur aus Eitelkeit zur sogenannten französischen Courtoisie und Ritterlichkeit geneigt. Nichtsdestoweniger berauscht ihn seine oberflächliche schillernde Phantasie sehr oft bis zur größten Noblesse und Empfindsamkeit, sobald man an seine Würde als Glied der großen Nation appellirt. Somit ist Eitelkeit und wieder Eitelkeit die Triebfeder seiner guten wie seiner schlechten Handlungen und Eigenschaften. Sein Idealismus ist stets aus diesem einen Beweggrund herzuleiten, persönlicher oder nationaler Eitelkeit. Darum wird er mit Begeisterung Jeden betrachten, der den äußern Glanz Frankreichs fördert, um so mehr er im Ganzen von erstaunlicher Unselbständigkeit ist und sich am liebsten von einem zusammenfassenden energischen Willen leiten läßt. Er ist mit Begeisterung servil, ebenso wie er mit Begeisterung die Freiheit anbetet – Beides, um seiner Phantasie ein Idol zu bieten, heiße es nun
gloire
oder
liberté.
Seine aufopfernde Hingebung für dies momentane Idol schlägt natürlich in das Gegentheil um, sobald diese Hingebung dem Heißhunger seiner phantastischen Eitelkeit nicht mehr genug entsprechende Sättigung gewährt. Aber der künstlich zur National-Eitelkeit großgezogenen Eitelkeit seines Naturells und seinem Leithammelsuchenden Instinkt verdankt er seine erlauchteste Tugend, den unbestreitbaren stets bewiesenen Patriotismus, der Alle vereint. Auf Gemeinsamkeit ist der Franzose überhaupt hingewiesen und veranlagt, in eminentem Sinn ein
Zoon politikin.
Ihm ist »die Gesellschaft« Alles, weswegen er eine tödtliche Furcht vor dem Lächerlichen empfindet. Diese in seinem Charakter liegende Unselbständigkeit bei aller Selbstüberschätzung, diese Selbstverknechtung unter die eiteln Dogmen äußerer

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