Größenwahn
dekorative Hinter grund fehle. Ein andrer beklagte den schnöden Realismus, ein andrer den abgestandenen Idealismus des Werkes. Einer konnte es aus Rücksicht auf sein Hoftheater, ein Andrer aus dito Rücksicht auf sein liberales Publikum nicht aufführen. Und doch war das Drama weder conservativ noch liberal, weder idealistisch noch realistisch, sondern einfach erhaben, schlicht und groß. Es behandelte den heldenhaften Freiheitskampf der Appenzeller gegen Oesterreich und die ganze Ritterschaft des Rheingaus und Tyrols unter dem Florian Geyer dieses Bauernkrieges, dem wackern Grafen Werdenberg, der seinen Titel ablegte und brüderlich den Bauernrock anzog. Mit herzerwärmender Frische und Kraft war die naive Begeisterung des Alpenvölkchens geschildert, das nach Niederwerfung aller vornehmen Feinde zu Haus von seinen Bergen ins Deutsche Reich einfällt, um die Welt zu befreien – die Welt, von deren Größe sich solche Herzenseinfalt recht nebelhafte Begriffe macht. Mit ergreifender Wehmuth entwickelte der Dichter dann, wie diese naive Sehnsucht nach Menschenverbrüderung sie immer weiter vom Pfad der Weltklugheit und auch des Rechts verlockte, bis die Männer von Appenzell, welche die ganze Menschheit verbrüdern wollten, sich um schnöde Beute zankten und ihrem Bruder Werdenberg mit Undank lohnten, so daß endlich doch die selbstsüchtige Bauernnatur zum Vorschein kam.
Ueber diese Dichtung, die wie von Alpenzinnen aus menschliches Recht und Unrecht mit milder Ruhe überschaute, hatte der Dramaturg eines Hoftheaters sich weisheittriefend verbreitet: »Sollten hier am Ende socialistische Umtriebe in dichterischer Gewandung vorliegen? Man erkennt gar wohl, wohin der Herr Verfasser zielt,« und so ging der Gallimathias drei Seiten lang fort.
Aber als nun Krastinik tobte und wetterte bei Lectüre dieser Briefe, da trat Leonhart nahe an ihn heran und fragte ihn: »Nun wohl, wollen Sie mir wirklich vorwärts helfen? Sie können es. Ich hätte da wohl eine Bitte..«
»Ist schon erfüllt. Befehlen Sie über mich! Wir wollen doch mal sehn, ob man diesen Schweinepriestern nicht irgendwie auf den Pelz klopfen kann.«
»Nun wohl, so hören Sie:« – – – – – –
II.
Bei dem gefürchteten Rhadamantys, dem »vornehmen« Kritikus Doktor Ottokar von Feichseler, war eine illustre Gesellschaft versammelt und genoß zu einer Punschbowle die Orakel des Gastgebers. »Man bemerkte« zuvörderst den Lord-Protektor und Pfadfinder großer Geister, Doktor Gotthold Ephraim Wurmb, mit seinem mieselsüchtigen Pfaffengesicht. Ferner den feinsinnigen Eklektiker Luckner, eine kleine behende Persönlichkeit von slowakischem Typus mit listig funkelnden Philologenäuglein, übrigens eine ehrenhaft und ideal angelegte Natur trotz einer gewissen boshaften Pfiffigkeit. Er trug immer einen glattgebürsteten Cylinder und gelbe Handschuhe, und spendete den Dienstmädchen Handdrücke wie ein Gentleman. ›Man bemerkte‹ neben ihm den ebenfalls feinsinnigen Eklektiker Adolf Gutmann, auch der ›Scheene Adolf‹ genannt, da er sein holdes Bildniß mit Vorliebe vor seine Buchfabrikate zu setzen pflegte. Ob sein großer Kopf auf seiner kurzen dicken Figur grade so schön wirkte, mußte man edeln Frauen zu beurtheilen überlassen. Jedenfalls konnte man seinem schwarzen wallenden Barte eine ansehnliche Länge nicht absprechen, um welche ihn zwar nicht Barbarossa, wohl aber Erzvater Abraham beneidet haben möchte. Mit diesem stand er ohnehin auf gutem Fuße, denn er lebte wie in Abrahams Schoß. Moses und die Propheten waren ihm hold, obschon er viel über sein Elend zu klagen hatte. Denn sein Vater und sein Schwiegervater lebten alle Beide noch und erst nach deren Tode wurde er dreifacher Millionär. Bis dahin aber mußte sich der arme Teufel mit seiner halben und der andern halben Million seiner Gattin begnügen. Aus berechtigtem Groll über solch dürftige Lage schrieb er gar weltschmerzreiche Poemata und wünschte sich oft den Tod, angeekelt von der Niedrigkeit der Welt. Wenn er von 50 Zeitungen besprochen wurde, jammerte er, daß die 51te fehle, und stellte die kühne Behauptung auf, er habe ja nur Feinde und keinen Freund auf der Welt. Böse Menschen versicherten, wenn er über seinen Nothzustand klagte und nur für hohe Honorare schreiben konnte, daß ihm auch wirklich die Litteratur jährlich ein kleines Vermögen koste. Doch war dies Verleumdung, da er als früherer Börsianer (er machte erst seit seinem 35ten Jahre in bedruckten
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