Größenwahn
hochzuverehrenden Mannes würde ihn auch der strengste Tadel erquicken.
Er kannte halt Ottokar's schwache Seite. Greis Ottokar (er war eigentlich erst 36 Jahre alt, aber erklärte sich für zwanzig Jahr älter, da die Stürme der Erfahrung ihn vorzeitig gebeugt hätten) würdigte diesen schönen Zug und beurtheilte danach den ganzen Menschen. Demgemäß pries er Lämmerschreyer sofort als einen jungen Mann von reinen Sitten und lauterer Gesinnung, der sich von dem Größenwahn der Andern frei halte. Auch lud er ihn zu der kritischen Sitzung ein, die er über die tragikomische Lyriker-Revolution abhielt. Zu allen Urtheilen sagte Erich der stilvolle Schwerenöther demüthig Ja und Amen.
Die wundersame Anthologie aber lautete:
Realistisches Jahrbuch der Lyrik.
Herausgegeben von E.v. Lämmerschreyer unter Mitwirkung aller Genies, die seit 1850 das Licht dieses ärmlichen Erdballs erblickten.
Vorrede.
Auf dem Kreis der hier versammelten Dichter beruht die Zukunft der Menschheit. Erhabener Geist, du hast uns viel gegeben! Wir sind die Erkorenen und rufen dem kommenden Jahrhundert. Was nicht für uns ist, ist wider uns. Nieder mit der ganzen altersschwachen Bagage! Man höre und staune: Mit unserer Lyrik befreien wir die altersschwache Welt! Wir sind die Reformation der Litteratur, welche schon unser lieber Genosse Leonhart prophezeite. Noch hat sich aus unsrer Mitte kein Führergenie erhoben, wie Goethe aus der älteren Sturm- und Drangperiode, obwohl wir bereits einen Lenz in Mokamaute und einen Klinger in Haubitz besitzen. College Hartung mit seinen orientalischen Allüren, die sich an Freiligrath geschult zeigen, fühlt sich dem Maler Müller verwandt und in dem strengen Ernst des Didaktikers Edelmann ahnen wir den Herder unsrer Epoche. Wer vermöchte Klopstock'schen Würdeschwung in unserm Freunde Max Henkelkrug zu verkennen! Schiller'sches Pathos athmet in Vielen, auch in unserm gefeierten Dramendichter Herrn v. Alvers. Kurz, man dürfte sagen, daß die Rollen vertheilt sind, und die thaufrische Blütheperiode einer neuen Klassicität nun losgehn kann. Wie gesagt, nur der Goethe fehlt noch, aber sollte nicht Anno Buchsbaum die Keime eines solchen in sich tragen? Und wenn uns auch Goethe und Schiller versagt blieben, so wird doch hoffentlich unser großer einziger Lessing neu erstehen in unserm Ambrosius Sagusch.
Vivat sequens!
Der Herausgeber .
Max Henkelkrug.
Der Weltbefreier.
Der Satan führte mich im Traum
In der Versuchung Bergeswüste
Und zeigte mir den Weltenraum
Sammt allen Schätzen jeder Küste.
Ich lachte in erhabenem Hohn:
»Armseliger, was willst Du schenken?
Zaunkönignestlein – Kaiserthron!
Der Adler soll die Schwinge senken?«
Hei, Pegasus, ins wilde Turnei!
Grimm sei Dein schneidiger Sporn!
Die Schranken der Sitte sprenge entzwei!
Hell schmettre der Freiheit Horn!
Die Geißel des Spottes in linker Hand
Und das Flammenschwert in der Rechten,
Den Popanz Wahn zu Boden gerannt!
Hinaus zum lustigen Fechten!
Fortreißt der Pegasus mich unaufhaltsam.
Auf, Flammen, mögt ihr prasselnd mich umwogen!
Der Ruhe Halfter sprengt mein Geist gewaltsam.
Nun, Myrmidonen, fürchtet meinen Bogen!
Die Sonnenrosse mögen mich zerschmettern.
Sei nur des Brütens Bann von mir genommen!
Der Aar saugt Lebenslust in wilden Wettern.
Verzweiflung und Martyrium, willkommen!
Ein heller scharfer Ton
Durchs Herz der Menschheit bebt,
Wie vor Posaunendrohn
Einst Jericho gebebt.
Ein Schauder wunderbar
Den Glücklichen ergreift,
Wie wenn ein lichter Aar
Ihm seine Locken streift.
Ein wilder Harfenklang
Um Schmerzverdammte schwirrt,
Wie Saite, die zersprang
Zerissen niederklirrt.
Ein Schrei, vor dem uns graut,
Im Herzen nimmer schweigt,
Wie klagend eine Braut
Sich auf die Walstatt neigt.
Ein Drängen unbekannt
In freien Seelen stürmt,
Wie wenn Gigantenhand
Den Berg zum Himmel thürmt.
Dies Drängen und dies Sehnen
Verläßt die Menschheit nie
In Lächeln und in Thränen
Und heißt – die Poesie.
Seid ihr hin, ihr schönen Tage
Ohne Plage, ohne Klage,
Wo noch frisch mein Blut,
Wo ich glaubte, niederringen
Könne alles und erzwingen
Stolzer Jugendmuth?
Mann und Greis in früher Jugend,
Ohne Laster, ohne Tugend,
Seltsam war mein Loos:
Bald in kühlen Scheingefühlen,
Bald in der sirokkoschwülen
Leidenschaft Getos.
Jeder Stern ist jetzt verblichen.
Auf der Welt gemeinen Schlichen
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