Größenwahn
schleicht auf Erden als Aschenbrödel umher. Niemand will sie. Lobt sie, war's nie genug; tadelt sie, heißt sie gehässig. So kommt es, daß man den Gerechten am leichtesten der Widersprüche zeihen kann. Was schimpfen Sie über seine Herbheit und rücksichtslose Schärfe! Seine strenge Schroffheit ist eine natürliche Folge gerechter Verbitterung. Haben seine lieben Mitmenschen nicht von der alles aufgeboten was in ihren Kräften stand, um das Aufstreben niederzuducken? Müßte er nicht mit Fug und Recht allen heimzahlen, was man an ihm verbrach, wenn nicht seine Verachtung stets seinen Haß im Keim blickte?«
»Sie überschätzen ihn, Sie überschätzen ihn kolossal!« sagte Wurmb erregt. »In vieler Beziehung tappt er umher wie ein unreifer Knabe. Man hört da kaum glaubliche Sachen von einem Verhältniß mit einem bemakelten Frauenzimmer in einer Weiberkneipe, die sich nichts aus mir macht und die er sogar heirathen wollte, um die bekannte ›Rettung‹ an ihr zu verüben. Entweder ist dies eine männliche Sinnlichkeit oder kindische Sentimentalität.« »Wenn ...« Er brach plötzlich ab und erröthete, man wußte nicht warum. Drückte ihn vielleicht gerade auf der Brust ein Briefchen mit einer Freiherrnkrone, wo eine lustrümpfelnde »Adah Freiin von Geisenheim«, geborene »Freiin von Ratzko« ihm den Laufpaß gab, weil er ihr so wärmerisch anbot, mit ihr vor seiner Frau und seinen andern nach Amerika zu entfliehn? Und sie hatte ihn doch bloß als Redacteur benutzen wollen, aus der Distance kokettirend!
»Ich gratulire Ihnen zu Ihrer Philosophie,« Krastinik daß sich auf die Lippen, um nicht hellaufzulachen. »Ich sah noch Keinen, der nicht die Leiden und Leidenschaften anderer recht mit philosophischer Geduld belächelt hätte, noch Keinen, der diese Geduld an sich selber erprobte. Uebrigens, die Mutter der Weisheit ist doch nun mal die Thorheit. Nur aus Most und Wein.«
»O o! Ich bitt' Sie, wo bleibt aber da die Moral?« zeterte Feichseler. »Wozu soll das fuhren! Untergrabung aller altdeutschen Sittlichkeit, Abklatsch der Pariser Verhältnisse! Schämt sich dieser Leonhart denn nicht, falls er wirklich so genial ist, die Gesellschaft verbuhlter Hetären zu frequentiren? Warum gründet er sich nicht eine germanische Häuslichkeit mit einer gebildeten Jungfrau? Ist es nicht eine wahre Schande, daß er die Geschöpfe der Straße litteraturfähig macht? Will er etwa die sociale Frage lösen, indem er ›Arme Mädchen‹ studirt wie Herr Lindau? Pfui, pfui darüber!«
»Hm,« erwiderte der Vertheidiger trocken. »Warum er nicht heirathet, weiß ich nicht. Vermuthlich, weil er kein Geld dazu hat. Warum er
ces dames
studirt und in seine Bücher bringt, weiß ich. Das sind allen Ernstes nur dichterische und ästhetische Gründe: um die Leidenschaft und die Noth an der abgründigsten Wurzel bloß zulegen. Warum er persönlich an solchen Damen Gefallen findet (so etwas kommt bei uns nicht vor, nicht wahr meine Herrschaften?), weiß ich ebenfalls. Vermuthlich, weil er sie interessanter findet als die langweiligen und dabei prätentiösen Puten des Salons. Wen in aller Welt das Alles übrigens etwas angeht, weiß ich nicht Wohl aber weiß ich, wenn er wirklich irrsinnig genug war einem solchen Weibe seine Hand anzubieten, daß dies weder aus Sinnlichkeit noch aus Sentimentalität geschehen sein kann. Denn er ist mäßig sinnlich und gar nicht sentimental. Obschon ich ihn vermuthlich näher kenne, als die Leute, die über ihn schwatzen, so vermesse ich mich nicht, über seine Motive zu urtheilen. Jeder Mensch hat seine inneren Geheimnisse, die kein Anderer kennt; sich da hineinzudrängen ist roh und dumm, gegenüber einem bedeutenden Menschen aber obendrein frech und infam.«
»Aber ich bitte Sie, schon allein der Skandal, wenn er das Weib wirklich heirathete! Dies schlechte Beispiel –« Feichseler brach ab und erröthete, man wußte warum. Denn die guten Freunde stießen sich bereits unterm Tische an. Behauptete doch der Stadtklatsch, Ottokar habe selbst die ideologische Narrethei begangen, eine Bemakelte zu retten und eine frühere
femme entretenue
zur Würde einer Frau von Feichseler zu erheben! Natürlich aus rein ätherischem Idealismus, da die junonischen Reize der schönen Frau unmöglich einen Philosophen wie Feichseler hätten verblenden können!
»Nun, Leonhart scheint immerhin ein ungewöhnlicher Mensch und eine liebenswürdige Natur. Aber er ist allzu bissig und dann – auch noch etwas grün.
Weitere Kostenlose Bücher