Größenwahn
Das heißt –«
»Scheint mir auch,« ergänzte Gutmann bedächtig. »Ich kenne ihn ja auch. Er aß einige Mal bei uns. Noch vor einem halben Jahr machte er mir einen Gegenbesuch und aß etwas bei uns. Er erinnert mich an Aurelie von Fellmarch. Sie wissen: die so oft bei uns aß und nachher solche Bosheiten über mich, meine Frau und das Kind geschrieben hat! Ja ja, der Leonhart wird noch älter werden. Wie wird er in zwölf Jahren an sich selber denken!«
»Ich kann mir nicht helfen,« warf jedoch Wurmb hin. »Ich halte Leonhart für einen unsrer gefährlichen Kujone. Ein furchtbarer Streber, der mit allen Mitteln vorwärts jagt und rücksichtslos niedertritt, was ihm den Weg versperrt.«
Krastinik erhob sich mit ironischen Lächeln. Es wird spät und ich muß mich empfehlen. Nur möchte er zum Schluß dieser Debatte eins bemerken. Hören sie z.B. einen Schmoller, der Leonhart nur zu ewigem Thun verpflichtet wäre, so wird dieser Größenwahnsinnige sich weder über seinen großen Gönner in herablassendem Tage als von einem ›guten Kerl‹ oder mit schimpfender Weise als von einem ›raffinirten despotischen Charakter‹ redete. Und grade so theilen sich überhaupt die Urtheile der dummen Jungen über dies Phänomen. Sagt Ihnen nicht die Logik, daß Beides zugleich nicht so kann und daher keins von Beidem irgendwie der Wahrheit entspricht?
»Ueberhaupt,« setzte Krastinik nach einer Pause fort »gehört doch eine unglaubliche Unwissenheit dazu, ein Dichter, der berühmt war, ehe unsere heutigen Modegötter auftauchten, und nur wegen mangelnder Streberei im Hintertreffen gedrängt wurde, zu dem jüngstdeutschen Gesindel zu rechnen! Nicht, als ob ich jenen jungen Leuten eine durchgängige Sprachvirtuosität und Formbemeisterten absprechen möchte. Nein, im Gegentheil erregt ihr ehrliches technisches Verskönnen kopfschüttelndes Staunen.«
»Auch eine Gedankenfülle schmerzlichen Lebensernstes und ein selbstständiges Lebensgefühl, welches der Erde Bitterniß voll durchkostete und sich in weihevollem Schmerze läutert!« dekretirte der stets in philosophischer Schönrednerei schwelgende Dondershausen und blies die Backen auf.
»Doch auch viel tautologisches Phrasen-Gefüllsel,« fiel Luckner ein.
»Ja, mag das alles nun sein, wie es will, jedenfalls ahnen diese jungen Lyriker in glücklicher Unschuld gar wenig von dem düstern heroischen Kampf, den das eigentliche Originalgenie wie Leonhart durchzuleiden hat, ehe es endlich seine wogende Ideenwelt in die konventionellen Stereotypformen der Litteratur zwängen lernt.«
»Mein Gott,« rief Gutmann achselzuckend. »Sie thun ja gerade so, als ob zwischen Ihrem Abgott und allen andern lebenden Dichtern eine Kluft gähnte, als ob er nicht nur der Erste wäre, sondern gleichsam allein auf einer Insel säße und das übrige Völkchen weitab von ihm.«
»So ist es auch,« bekräftigte Krastinik halblaut. »Wenigstens ist etwas Wahres daran.«
»Ja, lieber Herr Graf,« Ottokar und Dondershausen schüttelten den Kopf, »man hört Sie ja ruhig an, man läßt Sie ausreden. Aber man weiß wirklich nicht.. man versteht kein Wort.. es schwindelt Einem..«
»Einer muß jedenfalls verrückt sein,« brummte Holbach. »Ich begreife ja Ihre Begeisterung, allein..« Er zuckte vielsagend die Achseln.
»Ich kenne ihn ja doch auch am Ende,« hob Gutmann an und warf sich in die Brust, »und schätze ihm als einen näheren Bekannten. Noch zuletzt als ich ihm sprach (er aß etwas bei mir), sagte ich ihm: ›Leonhart Sie sind noch unerfahren‹. Sie vermöbeln zwar In-und Ausland, allein jene berühmte Kneipe, wo Sie als neuer Shakespeare mit Ihren Gebrüdern Green, Dekker und Heywood zusammensaßen, ist das Symbol jener Lächerlichkeit..«
»Ach so, das wollten Sie ihm sagen?« schnitt ihm Krastinik weitere Fanfaronaden ironisch ab. »Hören Sie auf, lieber Herr! Das würden Sie halt wagen, ihm an den Kopf zu werfen! O Jesus Maria!«
»Nun, um
ad rem
zurückzukommen, worin unterscheidet sich der erlauchte Dingsda denn von uns andern?« Dondershausen schnitt eine verzerrte Grimasse, wie eine Affe, der in einen sauren Apfel beißt, während Feichseler süßlich lächelte.
Holbach, dieser hanseatische Vikinger, der wie Leonhart als Federfuchser seinen Beruf verfehlte, sah mit einem starren Blick ins Leere. Sein blonder angelsächsischer Pferdekopf, der das Roßwappen Hengists und Horsas hätte schmücken können, ähnelte im Ausdruck auffallend einzelnen Zügen Leonharts. Wie
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