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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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illüstren Versammlung zusammen, indem er nachdenklich murmelte: »Wo mag wohl der Grund stecken, daß der Graf diesen Leonhart so eifrig vertheidigt? Sollte Jener vielleicht grade einen lobenden Essay über Krastinik schreiben wollen?«
    Ist doch der Begriff einer unbeeinflußten Kritik längst entschwunden. Man hat heut Kunstbutter, Kunstmilch, alles ist unecht, selbst das Genie wird man noch fälschen können.
     

III.
     
    Leonhart sah wochenlang keinen Menschen und schloß sich in seine Kammer ein. Er zermarterte wieder sein Gehirn mit tausend Ueberflüssigkeiten, indem er nun dumpfem Groll an die Verräthereien dachte, welche all die Judasse um ihn her gewiß hinterm Rücken an ihm verübten. Mit düsterm Groll reckte er seinen Arm vor sie hin und schwor sich: »Wenn ich je falle (wer weiß, wo und wo sie mir doch noch ein Bein stellen), so reiße ihr euch alle mit in den Abgrund!«
    Wieder sprach in ihm jene innere Stimme sein Gerechtigkeitsgefühls, das ihn stets schwächte, weil nur der Einseitige durch Selbstsucht stark wird: »Bist denn Denselber ohne Schuld?«
    Aber da erhob sich eine andere Stimme in ihm, gewaltig wie die Wahrheit, und laut rief er es zum Himmel empor, daß die Wände seiner Stube dröhnten: »Ich bin nicht ohne Schuld, doch ihr seid schuldig . Schuld an aller Sünden wider den Heiligen Geist, – jener eine Sünde, die nimmer vergeben wird.«
    Er wünschte blutige Thränen zu weinen, dieser angebliche Ewigkeitsmensch, immer und immer wieder durch Nichtiges abgelenkt und innerlich zerrieben. Viele Tropfe höhlen den Stein – der nie endende nagende Aerger unterhöhlte seine Geisteskraft.
Facit indignatio versum
– aber wenn die Indignation nie aufhört, so versiegen auch die Verse zuletzt.
    Das ist ja eben das Erhebende bei der deutschen Geschäftslitteratur und -Kunst, daß man die durchgehende Gemeinheit der Welt dort concentrirt findet, gleichsam symbolisch. –
    Leonhart's Gehirn fing an, durch sein zerrüttetes Nervensystem und seinen krankhaften Gemüthszustand geschwächt zu werden. Die unnatürliche Lebensweise der jungen Leute in Berlin, das nächtelange Umherschwärmen in den Kneipen und Nachtcafés, das sogenannte »Sumpfen« lähmt die frische Schwungkraft. Seit er ein ständiger Zuschauer bei dem Hypnotiseur Hansen geworden war, ging es vollends mit ihm bergab. Dieser benutzte ihn bei seinen Experimenten und die leichte Nervose Leonharts wurde hierdurch noch verschlimmert. Er bildete sich ein, magnetische Kräfte zu besitzen; er abonnirte sich auf die »Sphinx«, das Leiborgan der Spiritisten, und ließ sich von einer Collegin, die als begeisterte Prophetin des Spiritusmus galt, immer tiefer in dessen Geheimnisse einweihen. Ueberall sah er gewissermaßen Gespenster seiner Vergangenheit um sich her. In jeder Droschke, wo ein leidlich ähnliches Gesicht herausnickte, glaubte er eine verlassene Geliebte zu erkennen. In der Hasenhaide bummelnd, sah er einst vor der Bude »Des de Mona« (soll heißen: Desdemona) eine Gestalt mit einem Packet vor sich hergehn, die er zu erkennen glaubte. Er machte sich sofort auf die Beine und stiefelte ihr nach, trotzdem bei der großen Hitze ihm der Schweiß aus allen Poren rann. Als er sie erreichte, drehte sich die Unbekannte um – ein wildfremdes Gesicht starrte ihn an, so daß er, verlegen etwas vor sich hinstotternd, eiligst vorüberging. Er fing an, um Mitternacht hallucinative Gedichte zu entwerfen – vulkanische Ideen- und Gefühlsmassen machten sich Luft, um alsbald in kalter Lava zu erstarren Kein »Blümlein wunderhold« sproßte aus den Abgrundrissen seiner Träume empor – nur Erdpechflammen zuckten gespenstig auf. Sobald einmal ein Gehirn eine solche Richtung genommen hat, daß seine Begriffe alle transcendental werden, sobald also wirkliche Hallucinationen vorliegen, wirkt auch dies wie realistische Wahrheit. So ist Dante zu erklären. Das Menschengehirn hat keine Grenzen, mag also auch transcendental denken Maßstab für das Alles bleibt nur immer das Streben nach Wahrheit, welches innere Wahrhaftigkeit verbürgt selbst bei der tollsten Exaltation. – –
    Eine gewisse auffallende Kleinlichkeit paart sich oft in einem groß veranlagten Gehirn mit den umfassendsten Ideen. Es ist charakteristisch, daß Goethe auf seinen Manuskripten keinen Klex dulden konnte. Napoleon's welterobernder Geist beschäftigte sich oft mit den kleinsten Nebendingen des ungeheuren von ihm geleiteten Räderwerks und fühlte sich gepeinigt durch die

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