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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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dieser schob er die Unterlippe vor und preßte die Lippen fest aufeinander, während die Augenbrauen sich weit vortreten zusammenzogen.
    Gutmann machte ein dummes Gesicht, das jedoch einer gewissen Bosheit nicht entbehrte. Luckner fummelte allerlei unzusammenhängende Redensarten dazwischen. Leonhart verstehe nichts von dem einzig wahren Urborn der Poesie, der Germaniestik. (Er sprach dies Wort immer mit einem langen I.) Ein Mensch, der nicht Jakob Grimm studirt habe und über Scheffel, den größten deutschen Dichter nach Goethe, herablassend urtheile, er sei nur ein reizender Idylliker! Neulich noch habe Leonhart sich darüber mokirt, daß Scheffel ins Irrenhaus gewandert sei, weil ihm die dargebrachten Huldigungen der undankbaren deutschen Nation nicht genügten, und daß der biedere Dichter die 46.–49. Auflage seines »Ekkehard« mit großem Kostenaufwand selbst aufgekauft habe, um die 50. Jubiliäumsauflage zu ermöglichen. Auch sei die Fühlung des jungen Poeten zu dem Altmeister und dem »Ring der Nibelungen« nur gering. Das war für Luckner entscheidend. Nach dem Grundsatz, der heut die Welt regiert: Richard Wagner
est asylum ignorantiae,
versenkte sich der harmlose Knirps-Pimper (wie Leonhart, dessen Verachtung stets drollige Naturlaute fand, ihn zu nennen pflegte) in Musikkennerschaft, um sich über seine Dichterlähmung zu trösten. Für ihn schien das Welträthsel in Bayreuth gelöst. Wie der Bayreuther Meister des Größenwahns keinen Gott neben sich erkannte, so betrachtet auch die Wagner-Gemeinde jeden, der nicht auf ihre lächerliche Einseitigkeit schwört, als eine Art Heiden, und wer noch an die Möglichkeit anderer Weltpropheten glaubt, als Verbrecher. Der Richard Wagner-Humbug bildet ja gleichsam die symbolische Spitze für alle Großmannssucht unserer Zeit.
    Krastinik überlegte wie es schien, und sammelte vielleicht Erinnerungen an Aussprüche seines Meisters. Dann erwiderte er gemessen auf Dondershausens Frage: »Bei den Anderen, deren Schaffen trotz aller äußeren Geschlossenheit als innerlich zerstückelt wirkt, stehn wir immer in enge Kreise gebannt, mit beiden Füßen auf der Erde – das heißt auf den Brettern, welche die Welt bedeuten. Nie wird man bei ihnen die Empfindung des bloßen Theaterspielens los. Kombinirt Leonhart dramatische Gegensätze, so gehen sie stets in symbolische Tiefen hinab, während sich bei Anderen die Leute ganz handgreiflich-plump mit ihrem schrecklichen Edelmuth wie mit einer moralischen Ohrfeige drohen. Leonhart's Vorbild scheint offenbar Shakespeare, welcher auch in seinen realistischen Dramen überall Durchblicke ins Ewige eröffnet. So die Villegiatura von Belmonte im ›Kaufmann von Venedig‹. Dort zerreißt der Vorhang hinter dem Saal des Dogenpalastes, wo man über weltliches Recht und Unrecht streitet, und man erschaut das Ewige in der Mondnacht, wo Lorenzo mit Jessica träumt: ›Auch nicht der kleinste Stern, den Du da siehst, der nicht im Schwunge wie ein Engel singt.‹ Was also ist dieser ganze kleine Erdball, mahnt uns der Dichter, dieser Stern unter größeren Sternen! Ist aller irdische Streit nicht müßig?«
    »Aber ich bitt' Sie! Shakespeare! Ja, wer möchte den Herkules preisen, den Niemand tadelt – sagt ein lateinisches Sprüchwort. Shakespeare und Leonhart! Wo liegt da der Zusammenhang! Alle Achtung vor dessen Leistungen, aber –«
    »Was er ist und kann, können wir jetzt immer noch nicht beurtheilen, so großartig er auch schon als Gesammterscheinung sich darstellt. Denn er, der eigentliche deutschnationale Dichterrealismus, ringt augenblicklich noch mit sich selber, hat sich noch nicht zur letzten Lösung durchgerungen. Er thürmt Cyklopenmauern, hinter denen ein Riese seine Waffen thürmt.« Die verbündeten Eklektiker sahen den Grafen so dämlich an, wie die Ochsen vor'm neuen Thor, so daß dieser sich jetzt eilig empfahl.
    Nur Holbach nickte langsam vor sich hin, indem er mit seltsam düsterem Ausdruck wieder ins Leere starrte. Seine löwenhafte Reckennatur verseuchte sich zwar durch und durch mit füchsischer Balancir-Verlogenheit eines Weltlings; er repräsentirte gleichsam als Typus die Welt, also die Lüge. Aber das wirkliche Wohlwollen, das ehrliche breite Herz, das unter all der schwindelhaften Schauspielerei in seiner breiten Brust schlug, errieth intuitiv Manches und fühlte instinktive Verwandschaft: Beide hatten ihren wahren Beruf verfehlt.
    Als Krastinik gegangen, faßte Arthur Gutmann den Gesammteindruck der

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