Größenwahn
Meyer war er seit jenem Abend mit Schmoller nicht mehr hinausgepilgert. Als er sie neulich auf der Straße traf, hatte sie häßlich aufgelacht und ihm den Rücken gekehrt.
Er war wie vom Donner gerührt. Eine unabsehbare Perspektive möglicher Unannehmlichkeiten eröffnete sich vor ihm. Er erkannte, wie Schmoller's böse Zunge jenen Abend ausnützen konnte, welchen Grund zum Klatsch er den lieben Herren Collegen geben würde, in welche seltsame Zwangslage er unter Umständen gerathe. Nachdem nämlich sein Incognito gebrochen und sein dortiges Verkehren festgestellt, mußte die semitische Helena auch bald dahinter kommen, daß er sie in seinem naturalistischen Venuslied »Isauscha« abconterfeit.
Sein Nervensystem zitterte in allen Fugen, Ekel und Gram quollen ihm zum Magen auf, so daß er eine Art Angst-Cholerine bekam. Schlaflos wälzte er sich hin und her, Nacht für Nacht.. Was würde sie thun? Er erwartete bestimmt, daß sie ihm schreiben werde. Nichts.. Sie hatten ja freilich einander nichts vorzuwerfen. Allein ein Weib denkt über so etwas ganz anders.
Gräßliche Träume plagten ihn, die einen seltsamen erotischen Schrecken verriethen, der seinem Zustand entsprach.
Er sah sich als Zwangsgeliebter der Semiramis, den sie in rasender Tobsucht mänadisch erdrosselt und zerreißt. Und dabei spürte er sich widerstandsunfähig und empfand eine gewisse tödtliche Wollust bei diesem entehrenden Liebestod. War's auch nur ein Traum, aus dem er schweißgebadet erwachte, so lag doch eine düstre Beichte darin, die er sich wachend kaum zu bekennen wagte.
Liebte er jenes Weib? Nein. Er liebte überhaupt nichts. Er suchte nur vergeblich nach einem würdigen Objekt seiner verhaltenen Sinnengier.
Die entsetzliche Liebeskrankheit befiel ihn wieder und nagte an seinen Eingeweiden. Was hilfts dagegen anzukämpfen! Die erotische Leidenschaft herrscht als stärkste von allen, und hat sie sich auf einen einzigen Gegenstand concentrirt, so bricht sie ewig wieder nach derselben Richtung hin hervor. Welch ein Gefühl, mit einem Geheimniß solcher Art umherwandeln zu müssen! Ein Gefühl, das man wie eine Selbstentehrung verbirgt und wie einen Makel empfindet. Ewig sah er sie vor sich. Vergaß sie ihn wirklich? Was war geschehen? Hatte sie ihm nicht unzähligemal geschworen, daß sie ihn wahnsinnig liebe »ihn nur allein« und nur sein mephistophelisches Hohnlächeln fürchte? »Ich sage Dir alles, alles, und glaube Dir alles, und Du sagst mir nichts, gar nichts.« Nun wußte sie ja – – Ein niedlicher Tasso mit solch einer Leonore! Und doch!
Schon in der antiken Entfesselung aller Genußsuchtinstinkte erklärten Lukrez und andere Jünger des Epikur Entäußerung von allen Leidenschaften für das wahre Glück des Menschen. Scheint dies nicht vielmehr Temperamentssache? Bietet nicht die Leidenschaft der Liebe eine stärkere Erfüllung jener inneren Sehnsucht, welcher kein Mensch sich entschlagen kann, als die olympische Ruhe des Denkers oder des Christen?
Und andrerseits, man betrachte das Leben eines Mannes der That, der aus eigener Kraft die höchsten Ziele des Ehrgeizes erklomm, welch ein unermeßlich unglückliches Leben! Wieviel süßer eine Stunde am warmen Busen des geliebten Weibes, als alle Stunden »krönender Gnade«, höchsten Triumphes! Und dort kommt wenigstens die Nervenreizung durch schmetternde Trompeten, Rosseschnauben, wehende Standarten, Blut und Pulverdampf hinzu. Hingegen die Befriedigung des geistigen Arbeiters, etwa durch das schale Lob auf bedrucktem Papier, wie werthlos wäre sie, wenn nicht die Arbeit selbst ihm Nervenreizung gewährte!
Die Sinne wollen gesättigt sein, koste es was wolle. Wozu das Belasten mit allem möglichen Wissen! Was frommt es, sich mit den Begebenheiten der Vergangenheit vertraut zu machen! Wieviel glücklicher der Handwerker in seinen vier Pfählen bei Weib und Kind, dessen Gedanken nicht über sein Tagewerk hinausgehn! Traurige Ehre, ein »Erwählter des Herrn« zu sein! Sei lieber der Erwählte eines Weibes, das dein Gemüth und deine Sinne befriedigt! Die geschlechtliche Liebe ist die einzige Poesie des Glücks, die einzige Leidenschaft, die kein wesenloses Ziel erheischt. Halb Empfindsamkeit, halb Schmutzerei. Man sollte für jede Hälfte zugleich ein verschiedenes Liebesobjekt wählen. Natur verlangt's .....
Als er nach längerer Pause, dämonischem Zwange folgend, seine alte Flamme aufsuchte, fand er sogleich die Lösung des Räthsels, nämlich die Schöne Helena
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