Größenwahn
Schattenspiel der Laterna Magica des Unendlichen ward.
Und doch untergrub diese Weltentrücktheit noch mehr sein Nervensystem. Oft hält man für Charakterschwäche, was Nervenschwäche sein mag. Der Magenkranke ißt am liebsten das Unverdaulichste, der Nervöse sucht ordentlich das ihm Schädliche. Denn eine verhängnißvolle Tendenz zum Unheil liegt in der Menschennatur.
Der Verfolgungswahn brach aus. Ueberall ahnte er Gefahren, sah überall Schurken, die seine Schritte belauerten. Zugleich brach dabei das kranke Gewissen durch. Denn wer nichts zu fürchten hat, der fürchtet auch nichts.
Jene unsagbare Angst, die ihn manchmal befiel, überkam ihn. Während er angesichts jeder Gefahr sich zu beherrschen wußte, auf hoher Plattform den Trieb sich hinabzustürzen bezwang, bewältigten ihn im Halbschlaf ähnliche Vorstellungen mit lebenswirklicher Todesangst. Er wand sich hin und her, von schrecklichen Träumen gequält. Und zugleich erfüllte ihn das Bewußtsein, daß seine eigene Unvorsichtigkeit diese grundlosen Befürchtungen heraufbeschwor. Als echter Phantasiemensch lebte er stets in der Minute und kannte da keine Vorsicht noch Rücksicht. In drei litterarische Prozesse zugleich war er als Zeuge verwickelt. In einem sollte eine Postkarte vorgelegt werden, welche Böswillige mißdeuten konnten. In dem andern hatte er nicht ganz correct gehandelt und in dem dritten erschien er theilweise selber schuldig. Seine Phantasie malte ihm nun unablässig das Schlimmste vor, was irgend eintreten möchte! Die Verleumdung der Welt konnte sich an jede Kleinigkeit heften und die Dinge ausspinnen! In dem allen aber mahnte doch das heimliche Bewußtsein, daß man insofern etwas Richtiges rathen könne, als er, wie jeder Mensch, so manchen Punkt in seinem Leben wußte, der keineswegs dem idealen Bilde entsprach, das seine Verehrer von ihm entwarfen. Oft war er kleinlich und selbstsüchtig, oft lächerlich gewesen (bekanntlich fürchtet der Mensch noch mehr lächerlich, als gemein, zu erscheinen). Und schon dies quälte sein über zartes Gewissen, wie Andere ein wirkliches Vergehen.
Mitten in diesem Zustand eines kindischen »Angstgefühls«, dem Psychiater als Anzeichen einer schweren Nervenkrankheit wohlbekannt, producirte er aber unaufhörlich mit überreizter Fruchtbarkeit.
Leonhart schien wirklich ein Genie-Ungeheuer. Was er wollte, konnte er. Er schleuderte seine Genialitäten aufs Papier, willenlos. Zugleich stieg seine Macht, ohne daß er es wollte. Sein Willenszentrum schien so überwältigend, daß es gleichsam magnetisch ausstrahlte, und andere, ohne es zu ahnen, in seine Bahn gezwungen wurden.
Das Innere des Genies scheint ein Krater, der fortwährend explodirt und innere Umwälzungen mitmacht. In Folge dessen fühlt sich die Außenwelt dadurch beunruhigt und bedroht. Nun sind aber die Flammenausbrüche des Genies nicht nur verheerend, sondern auch fruchtbar machend wie Nilüberschwemmungen. Erst wenn der Krater schweigt, sieht man, daß Paradiese aus der Erde schossen. – –
Kürzlich war er einem früheren Liebchen begegnet, die als Gesellschafterin einer alten Dame in demselben Hause wie er gewohnt hatte. Er war von dort verzogen. Der Zufall wollte es, daß er eines Tages am Schöneberger Ufer auf sie stieß. In dem Entzücken des Wiedersehens benahm sie sich so anstößig liebevoll, als gebe es er keine Menschen auf der Straße, so daß er, halb gekehrt, halb um unangenehme Ueberraschung zu vermeiden, ihr vorschlug, sie zu Hause zu besuchen. Ihre Dame war zufällig auf eine Woche verreist und sie sollte das Haus hüten. Aber würde der Portier nicht merken – wenn, sie in ihrer Leidenschaft redete ihm das aus. Wirklich kamen sie auch unangefochten in ihre Parterrewohnung, wo sie, kaum angelangt, in einem Liebesparoxysmus über ihn herfiel, daß ihm der Hut vom Kopfe flog. Wer kann dem Wirbelwind widerstehn, wenn ein Weib seinen Willen haben will! Sie habe in letzter Zeit den »Faust« gelesen und sich an Gretchens Stelle versetzt. Und Die könne sie nicht beklagen, sondern nur beneiden. Sie habe Den genossen, den sie liebte. Was hätten denn Andre vom Leben! Jeden Abend einsam am Fenster sitzen und an den Einen denken! Sie solle sich einen Bräutigam, der's ehrlich meine, anschaffen? Ja, wo fände sich der! Und wenn auch, sie mache sich doch nun mal aus allen Männern nichts, außer Einem. Und die Männer seien alle schlecht, die Weiber freilich auch. Aber er, er allein sei gut. Ja doch, wenn er auch
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