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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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glaubt. Und Dies ist ja das einzig Wahre. Nirgend eine Spur von sogenannter Poesie, nirgend jene akademische Composition, wie die Leute der guten alten Zeit sie anzuwenden pflegten. Alles ist da nüchtern, man möchte beinah sagen steif – aber hierin eben bewundern wir die treue Wahrheitsliebe, die tiefe Auffassung dieses Koryphäen. Die größten Bildflächen werden hier mit einer Schnelligkeit kolorirt, welche staunenswerth erscheint. Wie in einer Fabrik wird die Kunst größten Styles
en gros
betrieben. Wir glauben nicht fehlzugehn, wenn wir den Meister gleichsam als einen in's Große übersetzten Signor Carlo – jenen berühmten Musikmaler des ›Walhalla-Theaters‹ –, als einen wahren Maler der Zukunft bezeichnen, in welchem das Vorbild Amerikas auch auf künstlerische Sphären zurückwirkt.
    Erhaben und unvergleich groß zeigt sich wieder wie gewöhnlich der größte Maler der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Adam Brenzel , dessen urwüchsige Titanenkraft den falschen Idealismus und Schönheitscultus mit der Keule des Naturalismus zu Boden schlug und den tiefsinnigen Ausspruch Macbeths: ›Schön ist häßlich, häßlich schön‹, mit so erfolgreichem und umfassendem Verständniß in die Wirklichkeit übertrug. Sein neuestes, kaum eine Hand breit großes Meisterwerk ›Schmutzige Kinder im Bade‹ ist von einer liebevollen Versenkung in die intimsten Details, für welche jegliches Lob zu groß. Wie das eine Kind sich das Näschen schneuzt, wie das andere die Zunge herausstreckt, wie das dritte das Hemdchen aufhebt – das ist alles von einer wunderbaren Schönheit, von zauberhafter Lieblichkeit und Süße der Empfindung. Und wie der kleine Schmutzfleck in dem besagten Hemdchen gemalt ist – es ist wonnig. Auch mache ich den Beschauer noch auf das entzückende Kerlchen im Hintergrunde aufmerksam, das dort seitwärts in den Gebüschen sich dem Naturgenusse hinzugeben scheint. Das heißt die Natur gleichsam, wie Aktäon die Diana im Bade, in ihrer vollen Blöße belauschen. Getrost und unbefangen schreiben wir es nieder: Dieses kaum eine Handfläche breite Bildwerk des Altmeisters wiegt ganze Galerien Rafaels auf.
    Allen deutschen Frauen und Jungfrauen sei auch die neue Schöpfung Tischenborn's innig empfohlen ›Helena und Cassandra an der Thränenweide‹, welche in ihrem glatten, gleichsam gefirnißten Pinselstrich den gewiegten Meister erkennen läßt. Besonders vorzüglich sind die Aschenkrüglein und die hellen Perlenzähren gemalt, welche, den schönen Augen entquellend, sicher das tiefe Mitgefühl unserer geneigten schönen Leserinnen erwecken.«
    »Junger Mann,« sagte der Chef, welcher während der ganzen Zeit in heiligem Kampfzorn die Scheere geschwungen und einen wahren Ballen von kaltem Ausschnitt auf dem Redaktionstisch angehäuft hatte, »Sie gefallen mir. Sie verrathen Spuren eines spekulativen Kopfes. Sie haben meine Intentionen in diesem Artikel nicht übel ausgedrückt. Natürlich, hätte ich das Feuilleton geschrieben – doch dazu habe ich ja gar keine Zeit Die Politik reibt all meine Kräfte auf. Lesen Sie meine ›politische Rundschau‹ jede Woche – daran werden Sie erkennen, was Styl ist. Ihre Sätze sind noch ungelenk. Das ist der Tod für ein Journal. Schreiben Sie ganz knapp und kurz – recht viele Punkte. Doch Sie sind noch jung. Ich als älterer gereifter Journalist belehre Sie. Sogar Ich habe so angefangen. Da, recensiren Sie mal gleich dieses Buch!«
    »Ich bitte um Entschuldigung, ich habe seinen Inhalt leider noch nicht kennen gelernt.«
    »Unglücklicher, genügt es nicht, wenn ich Ihnen sage, daß dies Buch von einem unserer Gegner herrührt? Vorwärts an's Werk!«
    Lämmerschreyer blätterte fünf Minuten in dem Buche und schrieb:
    » Dunkle Verhängnisse von Fritz Leonhart. – Ein ungesunder Zolaismus durchweht dieses Machwerk. Es erweckt einen widrigen Eindruck. Die Charaktere sind verschroben. Die Handlung dürftig. Der Styl läßt Alles zu wünschen übrig.« –
    »Zum Teufel!« schrie der Chef wüthend, »Sie verstehn ja gar nichts. Zolaismus?! Das ist ja eine Reklame-Recension. Haben Sie noch nie vom › vernichtenden Lobe ‹ gehört? Das wenden Sie hier an – ich mache Ihre Anstellung davon abhängig.«
    Jener zerbrach sich mehrmals den Kopf, blätterte nochmals in dem Buche und schrieb gelassen die großen Worte:
    »Ein hübsches Büchlein. Eine gewisse, deutlich die Jugend des Verfassers verrathende, rührende Naivetät fordert eine strenge und

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