Größenwahn
nichts davon hören wolle. Man brauche nur in seine Augen zu sehn, dann sehe man, er sei doch ein guter guter Mensch, wenn auch manchmal etwas unwirsch und heftig.
Dann kamen die Geschichten von all den Nachstellungen, denen sie ausgesetzt, da sie ja auffallend hübsch. Dann wieder ein Strom von Zärtlichkeiten. Mitleid und Leidenschaft zugleich ergriffen ihn, als sie so anbetend vor seinem »Genie« (sie sprach es wie »Jenny« aus) auf den Knieen lag, obschon sie im Grunde nur mit »Mein Fritz, mein Fritz« ihr Eigenthumsrecht auf ihn betonte. Das Sopha war weich. Draußen auf dem Hofe spielte ein Leierkasten – –
Heftiges Klingeln weckte sie auf. Als sie mit noch ziemlich verwirrten Kleidern zur Thür eilte, ergab es sich, daß der Portier Unrath witterte und es für strafbar erklärte, fremde Herrn in die Wohnung zu bringen; dazu sei sie nicht von ihrer Gebieterin zurückgelassen. »Das ist ja nur mein Bruder!« versicherte sie. Nach einigem Parlamentiren gab sich der Mann mit dieser berühmten Ausrede zufrieden und verschwand brummend vom Schauplatz seiner Pflichterfüllung, da die Bediensteten und Portiersleute meist zueinanderhalten. »Ach, ich habe ja Ausrede gemacht!« wiederholte sie mehrmals, als er sich hastig zum Aufbruch fertig machte. Er aber wollte durchaus nicht bleiben, durchaus nicht. Ein widerlicher Schrecken befiel ihn. Wenn man ihn nun hier überraschte – es hing ja nur an einem Haar –, welch ein Skandal! Und der Ruf des unglücklichen Mädchens für immer ruinirt. Wenn das Weib auch rücksichtslos und schrankenlos sich hingiebt, nur den einen Zweck im Auge, so sollte doch der Mann um so mehr sich zu beherrschen wissen. Und ach, er liebte sie ja nicht!
Lüderlichkeit scheint das einzige Mittel, um sich über die Qualen der Liebe wegzusetzen. Die Sinnlichkeit birgt das Lebensproblem. Nur wer sie überwand, ist glücklich. Traurig genug, daß sich mit Genialität fast immer eine abnorme Sinnlichkeit paart. Und was sucht Sinnenlust anders als Liebe? Und scheint nicht Liebe nur ein ewiges Suchen und nicht Finden? Ueberall in jeder Verbindung steckt irgendwas, was vom weltlichen oder vom seelischen Standpunkt aus nicht befriedigt. –
Den Tod im Herzen, riß er sich los, während sie, wie eine Klette an ihm hängend, bis vors Haus (es dämmerte, ein Sonntag-Abend) ihn hinausgeleitete. Wenn nun aus dieser Ueberrumpelung eines Augenblicks endlose Folgen entstanden, was dann? Schon brach bei ihr der naive Größenwahn aus, der in jedem Weibe schlummert. Wie die Dienstmädchen heut als Damen sich kleiden und das Theuerste grade gut genug finden, so stellt sich auch jedes Weib, ob hoch ob niedrig, auch sofort ihrem Liebhaber gleich, sobald dieser einmal mit ihr demselben Naturtrieb gefröhnt. Die Maitressen der Fürsten sehen nur einen Mann, der nebenbei auch Fürst heißt und dessen geheimsten Schwächen sie kennen.
So behandelte auch dies Mädchen im Triumph eines erlangten Liebeswunsches den Gegenstand desselben schon ganz als ihr zugehörig. Natürlich mußten sie sich morgen gleich wieder treffen, und als er Ausflüchte fand, schalt sie ihn mit zärtlicher Zudringlichkeit.
Auch das noch! Als ein recht trister Würdegreis wankte das Opfer einer erzwungenen Liebe heim und fluchte seiner Schwäche. Und war er etwa schuldlos? Hatte er früher nicht selbst mit dem Mädel angebändelt und ihr nachgestellt? War sie nicht blos ihm allein als Beute zugefallen mit der ehrlichen Zuneigung eines naiven Gemüths? Vor dem Tribunal einer höheren Sittlichkeit blieb er ein Schurke, wenn er das Mädchen nun einfach abschüttelte. Abgesehn davon, was noch leider daraus kommen und was ja Niemand berechnen konnte.
Dazu führen stets diese kleinen Unregelmäßigkeiten, welche die meisten Männer auf die leichte Achsel zu nehmen pflegen. Niedrig plebejische »Verhältnisse«, eigentlich doch komischer Art. Allein, was blieb denn ihm anders übrig, einem jungen Mann und armen Teufel? »Verhältnisse« in der »guten« Gesellschaft kommen viel seltener vor, als das thörichte Gerede annimmt. Und zum Heirathen gehören drei Dinge: Erstens Geld, zweitens Geld und drittens nochmals Geld. Und das besitzt man heut genügend erst, wenn die Zähne schon wacklig werden.
So wie er litten die Meisten. Und wer nicht mal mit solchen »Verhältnissen« beglückt, bleibt auf die Kellnerin und die Straßendirne angewiesen, auf die käuflichen Silberlinge und auf die Charité.
Nach der Dresdener Straße zu seiner Tante
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