Größenwahn
gerechte Kritik zur Schonung auf. Diese Schilderungen des Berliner Lebens entbehren nicht der Frische. Häufig schlägt Verfasser einen kecken Ton an, wird aber dann leider herzlich langweilig. Doch sind in diesem ansprechenden Versuch immerhin das redliche Streben und der Jugendmuth dieses arbeitssamen und fast wie Calderon und Lope (man kennt Platen's Distichon) fruchtbaren Schriftstellers anzuerkennen. Wird Leonhart erst gründlicher das Leben kennen lernen, so werden auch seine Charaktere jene Unreife jugendlicher Anschauung verlieren, die in jeder neu auftauchenden Romanfigur einen Karl oder Franz Moor zu sehen glaubt. Vielleicht gewinnt die jetzt recht alltägliche, magre und schattenhafte Fabel dann auch an Spannung. Die Sprache verräth oft Nachlässigkeit und die mangelhafte Schulung des Autors. So heißt es – wir könnten zahllose andre Beispiele anführen – z.B.: ›Edgar saß ruhig auf dem Felsen und starrte in die blaue Unendlichkeit (!).‹ Möge es uns der Autor nicht verübeln: Herr Edgar gleicht wirklich dem berühmten Greis, welcher auf dem Dache saß und sich nicht zu helfen wußte. Haben Sie schon mal eine ›blaue Unendlichkeit‹ gesehn? Ich nicht. Auch finden sich zahlreiche Anklänge an ältere Meister. Z.B.S. 163: ›Gehorsam ist die Pflicht eines Christen,‹ grobes Plagiat aus Schiller's ›Kampf mit dem Drachen‹, u.s.w. Kurz, trotz unserer redlichen Bemühung, dem strebsamen Autor gerecht zu werden, und obwohl wir nicht daran verzweifeln wollen, daß dieser später einmal etwas Ordentliches zu leisten fähig sein werde –, müssen wir dies Büchlein doch im Ganzen als ›kaum eben genügend‹ bezeichnen.« – –
Der Chef las – »Sie sind zum Feuilleton-Redakteur ernannt!« rief er aus. » Das Buch liest Keiner von unsern Abonnenten. Haha, neulich hat Leonhart mich nicht auf der Straße gegrüßt – na!« Er rieb sich mit dem wohlthuenden Bewußtsein einer guten That die fettigen Hände.
Jetzt war Lämmerschreyer schon einen vollen Monat Feuilleton-Redakteur und fühlte sich als sechste Großmacht. Während dieser ganzen Zeit hat der Chef immer nur für kalten Ausschnitt gesorgt und jede Erhitzung des Kopfes mit eigenem Federansetzen verschmäht. In der ersten Zeit schrieb der Neuling noch viel – das ist so eine Art Rekrutenfieber, »
l'enthousiasme du départ
« nennen es die Franzosen. Später entwickelten sich seine journalistischen Fähigkeiten jedoch bedeutend und jetzt maß er sich selbst mit den gewiegtesten Meistern der Scheere und des Kleistertopfs. Auch als Kritiker druckte er gewöhnlich die eingesandten Schemas der Verleger ab oder forderte die Autoren auf, wenn sie ihm bekannt, selbst über sich zu recensiren. So hält man sich die Mühen vom Halse.
Nur über's Theater schrieb er gern selbst. Es giebt da so hübsche Schauspielerinnen und was thut die Kunst nicht für den Ruhm! War er doch der Gewaltige, der selig machen und verdammen kann – war er doch der Spender des Ruhmes, der Feuilletonredakteur eines täglich erscheinenden Blattes!
Manchmal stiegen auch verhungernde Poeten an, die ihre selbstgeschriebenen Opera empfahlen. Nun, da mußte man den Chef sehn, wie er Jedem rieth, seinen Styl nach Ihm zu bilden!! In der That geht die dunkle Sage, daß der Chef neulich einmal sechs Zeilen zu zwanzig Zeilen Ausschnitt hinzugeschrieben haben soll.
Auch Kasimir Pakosch erschien vor seiner neuen Première und ließ aus Versehn in der Nähe des dickbauchigen Kleistertopfs einen knittrigen Brief liegen, in welchen sich eine Banknote verirrt hatte. Doch rief ihn Lämmerschreyer ernsthaft zurück und machte ihn als ehrlicher Finder aufmerksam. Pakosch erröthete. Hatte er sich doch in der Adresse geirrt, da er von hier aus zu Rafael Haubitz wallfahrten wollte. Dafür versicherte er Lämmerschreyer mit verschwimmenden treuen wasserblauen Germanenaugen: »Ja, nur zu Ihnen komme ich, mein verehrter Herr, nur zu Ihnen. Wie würde ich sonst –! Aber die Reife Ihres Urtheils –! Ach, wie wenig liegt mir sonst am äußeren Erfolg, der so leicht in Scherben fällt! Ich bin ein müder Mann, lieber Freund. Nur der Glaube an das ewig Schöne, diesen heiligen Sebastian mit dem Pfeil in purpurner Wunde – nur er hält mich noch aufrecht als Stab meines müden Lebens!«
Ein andermal erzitterte sogar die Redaktionsstube unter dem klobigen Dichterschritt des Herrn von Alvers. Puterroth vor edlem Zorn über den mangelnden Schutz seiner künstlerischen Persönlichkeit, biederte
Weitere Kostenlose Bücher