Größenwahn
zuzudrücken. In dem tiefen aufrichtigen Schmerz, den er mit der Wittwe theilte, hatte er in den ersten Tagen vergessen, was hinter ihm lag. Vergessen, sich selbst vergessen. Jetzt, da er aus dieser wohlthätigen Erstarrung erwacht, quälte ihn mit doppelter Gewalt das alte Leid. Das Leid? Nein, das Schuldgefühl.
Durfte er sich's selbst bekennen, aber mußte er's nicht, – daß in all dem Wirrwar seiner Gefühle erst schüchtern, dann immer dreister die Versuchung ihr Haupt erhob: Nun ist der todt und für immer dahin, der uns alle beschattete mit seiner bleichen Stirn, neben dem als Dichter sich zu spreizen nur dem blinden Größenwahn noch möglich war? Ja, er ist todt – und sein Werk, das meinen Namen berühmt gemacht, ist nun mein, mein. Der Zeuge gegen mich, der aufstehen könnte, mir die erborgten Pfauenfedern abzureißen, ist stumm für ewig.
So fraß die teuflische Lockung sich in seine Seele ein, langsam und stetig wie der Keim eines Verbrechens. Wie wäre bei normalem Zustand ein so unehrenhafter Gedanke ihm je genaht! Aber der Ruhm, – wer ihn kostete, den stumpft er ab für alle anderen Gefühle. Der Größenwahn muß sich sättigen um jeden, ja um jeden Preis.
Er rang verzweifelt mit dem bösen Vorsatz und doch vermochte er nicht, ihn zu bemeistern. Und die Furcht, die Schande! Wie würde man ihn lächerlich machen! Wurde er nicht unmöglich in der Litteratur? In den litterarischen Kreisen Berlins, an denen er mit allen Fasern hing? Das Gift der litterarischen Gesellschaftsstreberei schien ihm längst in alle Poren gedrungen und vergebens suchte er nach einem Gegengift.
Und zuguterletzt – konnte er nun nicht, nachdem er durch jenes Meisterwerk einen obersten Platz errungen, durch eigene Werke sich weiter behaupten? Konnte ihn nicht der edle Ehrgeiz, sich jenes Werkes und des dadurch errungenen Namens würdig zu machen, über sich selbst hinausheben?
Was nützte es denn dem Todten, wenn man der Wahrheit die Ehre gab und seinen ohnehin schon sicheren Nachruhm noch vermehrte? Der große Dichter bedurfte desselben nicht und der Todte bedarf überhaupt nichts mehr. Nur der Lebende hat Recht.
So mühte er sich ab, mit allerlei Sophismen sich über sein Vorhaben, über seine feige Schwäche hinwegzutäuschen. Mit jedem Tage wuchs die Schwierigkeit des Eingeständnisses. Würde man nicht fragen, warum er nicht sofort das Nothwendige gethan? Würde man nicht seine plötzliche Abreise dann erst recht mißdeuten? Würde nicht ein immer das Böse voraussetzender Verleumder wie z.B. Schmoller sich dann gar feierlich als Bluträcher des »todten Freundes« aufwerfen, indem er am Ende gar den unerklärlichen Selbstmord Leonharts mit dem litterarischen »Raub« zusammen brachte, der an ihm begangen? Und ob denn überhaupt nicht Jemand in der »Meeresbraut« die unverkennbare Vaterschaft Leonharts herausspürte und demgemäß Vermuthungen losließ?
Die Phantasie spiegelt tausend Fährnisse vor, die hinterher nicht einmal kommen können. Wer etwas auf dem Herzen hat, glaubt, daß Jeder es ahne. Wie die Motte zur Kerze, fliegt ein überzartes Gewissen selbst immer der Sache näher und verplaudert sich selbst Denn der Mensch kann selten ein Geheimniß bewahren und bei sich behalten, alles muß heraus. Daher die heilsame Institution der Beichte – daher die wolthätige Macht der katholischen Kirche, welche dem Drang des Mittheilens entspricht, den man sonst verbeißen müßte.
Bei diesem Gedanken an die katholische Kirche durchzuckte es den Einsamen. Wie hatte es ihn stets gepackt, wenn Leonhart das Leben eines Mönchs als wünschenswerthesten Seelenzustand pries!
Ach ja, ja. Wenn ihm nichts mehr übrig blieb, wenn das Leben ihm ganz zuwider, so konnte er sich ja flüchten in die klösterliche Stille, wo aller Hader schweigt und jede Versuchung endet. »
Memento mori!
« zu murmeln wie der Trappist, dem nur dies eine Wort die ewig versiegelten Lippen erschließt – das mag nur Weltlinge erschrecken, die noch genarrt von den eiteln Gaben des Lebens.
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Krastinik war, bald nachdem er wieder zu sich selbst gekommen, ins deutsche »Athenäum« geeilt, um dort Berliner Zeitungen zu lesen. Mit fieberhafter Aufregung durchstöberte er alte und neue Blätter. Und nicht umsonst für das Einzige, wonach er fahndete. Zehrten doch die Feuilletons aller Blätter noch immer in üppigen Notizen von dem seltsamen
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