Größenwahn
Selbstmord des jungen Dichters. Sogar zu Leitartikeler schwangen sich verschiedene Organe auf, um kräftig an diesem Fall das traurige Loos des deutschen Dichters zu erläutern. Obschon sie selbst im Leben ihn gänzlich todtgeschwiegen hatten, schleuderten solche edlen Leitartikeler jetzo Invectiven gegen die versumpfte Presse. Denn das schien, bald nachdem der Selbstmord Leonharts als breite Notiz überall aufgetischt und verrückte Motivirungen aufgetaucht, nunmehr endgültig festgestellt: daß der junge Dichter sich aus Verzweiflung über seine völlige Erfolglosigkeit und den Mangel jeglicher Anerkennung das Leben genommen habe. Wäre daran noch ein Zweifel gewesen, so wurde er ja bald gehoben durch ein posthumes Ereigniß.
Was mußte Krastinik vernehmen! Sofort nach Leonharts Ende, fiel sein Verleger über seine litterarische Hinterlassenschaft her, indem er einen Vertrag auf ein neues Werk des Verstorbenen producirte, auf welches er bereits eine Vorschußsumme gegeben. Dies neue Werk fand sich vor, überraschenderweise fast ganz vollendet. Ohne Besinnen setzte der rührige Verleger zwei Schnellpressen in Bewegung und publizirte mitten in dem Skandal binnen drei Tagen das Buch. Und welch ein Buch! Das schnellebige Berlin hätte vielleicht auch diese Affaire in acht Tagen vergessen wie jede andere, aber diese Publikation verewigte den Skandal. » Der Schwur des Hannibal «, dramatische Dichtung. – Sobald er die erste Anzeige gelesen, stürzte Krastinik zu Trübner und kaufte das Buch. Gleichsam als Motto trug es an der Stirn die wildtrotzigen Verse:
Ich glaubte nie die Mär, daß am Altar,
Heimkehrend aus der Römerkriege Lager,
Den Sohn er Rache schwören ließ – fürwahr,
Nicht ähnlich dem verschlossenen Karthager!
Der junge Hannibal sah fort und fort
Das Ringen seiner hohen Geistesahnen.
Er ballte nur die Faust und sprach kein Wort:
Man brauchte ihn zur Rache nicht zu mahnen .
Er sah, wie alles nur gelenkt vom Schein,
Wie jeder Wicht der Größe Keim verpfuschte,
Wie jedes stillen Werthes Melodei'n
Der Kameraderie-Tamtam vertuschte.
»Noch ahnet Ihr mich nicht, Ihr glatten Katzen,
Aufsteht ein Rächer aus Hamilkars Geist.
Den Löwen merkt man erst an seinen Tatzen,
Wenn der Gereizte Euch in Stücke reißt.«
»Ihr mögt mir Netze stellen, Gruben, Schlingen –
Einst pack' ich Euch, und wen erst packt der Leu –
Ja, unerbittlich will ich sie vollbringen
Die Rachepflicht, dem Schwure bleib ich treu.«
»Du Stadt der Krämer und der seichten Possen,
Ich schwör's bei der Semiten Gott, dem Bal:
Einst kommt er wie der Blitz herabgeschossen
Und reinigt Dich – der Schwur des Hannibal. «
Das Buch fiel wie eine Bombe mitten in das Leben der Zeit hinein. Es sprengte gleichsam, vom Dach bis zum Erdgeschoß durchschlagend, alle Quadern und Mauern des Wahns auseinander.
Als Form war die dramatische gewählt, die einzige, welche Leonharts innerstem Wesen gemäß. Die Entwickelung der Tragik aus den Tiefen des menschlichen Willens, zwischen Bewußtem und Unbewußtem schwankend, in ununterbrochen schnurgerader Linie psychologischer Folgerichtigkeit, in dramatische Gestaltung umgegossen – dies war sein Ziel. Die geschlossene Composition des gewöhnlichen Bühnendramas konnte ihm daher nicht genügen, da seine umfassende Anschauung über den zwerghaften Rahmen der landläufigen Kunstgesetze hinauswuchs.
Aber überall nahm der philosophische Gedanke bei ihm warmen Erdkörper an.
Die Dichtung fußte auf rein realistischem Untergrund, stellte sich jedoch selbst allegorisch dar. Der Held war ein moderner Faust. Wie Jener als Magister an der Wissenschaft verzweifelt, so dieser an seinem elenden Beruf der berufsmäßigen Federfuchserei. Absichtlich hatte der Dichter seinen Helden in alle und jede Erbärmlichkeit des modernen Litteratenlebens eingetaucht, ihm auch das Kleinlichste nicht erspart. Und was das Unerhörteste dabei, der Held trug Leonharts Züge unverkennbar, nur mit tausend willkührlichen Zusätzen.
Die Anschauungen der modernen Naturwissenschaft lagen überall zu Grunde, waren aber nie aufdringlich breitgetreten. Nirgends fand sich die poetische, Licenz der Zufall-Anwendung, nirgend drückte sich der Dichter bei den schwersten Theilen der psychologischen Entwickelung mit ängstlichem Salto Mortale vorbei, wie die anderen Sonntagsreiter. Der Kampf mit den Naturtrieben trat überall in seiner plumpen nackten Roheit und Poesielosigkeit entgegen.
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