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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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sich hinwindende Reflexion zu klarem Strom und durchflutete das Naturganze des Weltorganismus selbst wie eine besondere Weltseele, immanent der inneren Untheilbarkeit der Dinge.
    Hier wagte sich wieder einmal ein Viking-Skalde hinaus in die offene See, als Wrack umhergeschlendert und in brüllendem Orkan wie in warmem Sonnenschein von der unheimlichen Flut gewiegt, welche in immer gleicher fühlloser Schönheit uns alle von dannen spült. Wie die alten Seekönige kreuzte er von Küste zu Küste, wie Odin aus Sagas goldenem Methhorn berauscht. Auf seiner Hochzeitsreise mit der wilden Walküre Wahrheit verbrannte er denn sich selbst und sein Drachenschiff im Feuerwerk cynischer Selbstvernichtung.
    – – Wäre dies außerordentliche Geistesprodukt aus der Feder eines Lebenden geflossen, so hätte man die nervig-drastische Methode Leonharts, die minutiöse Ausmalung psychologischer Wandlungen durch Zusammenscharrung ganzer Dokumentbibliotheken, um die Illusion absoluter Lebenswahrheit zu erwecken, als langweilige Weitschweifigkeit benörgelt. Eine unreife Baby-Aesthetik hätte die erotischen Scenen des Buches, welche die tiefste philosophische Absicht bargen, als brutalen Cynismus denunzirt. Ja, die unreifen Janitscharen der bespeichelten Modehelden hätten gar all dies Erdichtete für »Bekenntnisse einer schönen Seele« oder direkte Rousseausche Confessions genommen und demgemäß erläutert. Die Salon-Tätteler, die akademischen Säuseler, die Formalisten hätten mit Erfolg diese freche Verletzung alles gentlemanliken Dekorums gegeißelt. Muß doch die Welt jede Wahrheit in der Kunst hassen, besonders die Frau, welche ja die Welt bedeutet! Und da waltet wohl nur ein mechanisches Gesetz ob, ohne welches die conventionelle Gesellschaftsordnung nicht denkbar wäre. Allein, aus ganz demselben Gesetz folgerte nun das Gegentheil, da es sich um einen Todten handelte, der unter so betrübenden Umständen die Consequenzen der Wahrheit gezogen und sich vom Leben verabschiedet hatte.
    Die Kulturmenschheit ahnt nämlich bewußt und unbewußt, daß der geliebte Materialismus d.h. der flotte thierische Kampf ums Dasein ohne die Fiction des »Idealismus« gar nicht möglich wäre. Denn der auf die Naturwissenschaft gestützte Materialismus führt unnachsichtlich zu Consequenzen des Socialismus. Um daher dem Bild von Saïs einen Schleier vorzuhängen, pflegt man ab und zu den sogenannten Idealismus, das Interesse an idealen Kulturerzeugnissen. Man gähnt pflichtschuldig das Postament der Geistesheroen alt und versteckt seine stumpfsinnige Gleichgültigkeit unter dem Tamtam neuer Götzendiener, die vom Abfall früherer Geistesthaten leben und ein großes Geräusch machen, gleich den Ammen Jupiters, um die Stimme ihres Gottes zu übertönen. Man läßt zwar das lebendige Ideale als Aschenbrödel verhungern, aber man muß ab und zu über abstrakten Idealismus faseln, um das Gleichgewicht herzustellen.
    So wollte denn das Gejammere über das »unglückliche Genie«, »den edeln Dichter« kein Ende, nehmen. Die »Berliner Tagesstimme« nannte ihn, nachdem sie sich von Schritt zu Schritt mehr für ihren todtgeschwiegenen Liebling erwärmt, bereits nur noch schlechtweg den »erhabenen Jüngling«. Sie wußte mit dröhnendem Pathos unser Zeitalter der Reaction dafür verantwortlich zu machen, daß eine so hochherzige Natur aus purem Lebensekel sich aus dem Leben »fort jraulte«. Jaja, das Herz dieses erhabenen Jünglings brach, denn es schlug der Freiheit sowie der Menschheit. (Die Aktien-Dividende der »Berliner Tagesstimme« war dies Jahr besondere fett gerathen.)
    Hingegen wußte das »Deutschnationale Blatt« ganz genau, daß der Antisemit Leonhart nur durch das infame Judenthum, dessen Presse sich besonders an ihm versündigte, zur Verzweiflung getrieben wurde.
    Das »Bunte Allerlei« wimmerte wie ein kleines Krokodil und brachte u.A. die boshafte Notiz:
    »Wie wir hören, soll der gräßliche Sittenschilderer K. Schm. untröstlich sein. Der Selbstmord seines Freundes L – t wirst all seine Dispositionen um. Denn er hatte denselben bereits als Helden seines neuen Romans ›festgenagelt‹ und als Typus des Größenwahns unsterblich lächerlich gemacht. Leider ist ihm nun der böse Mensch zuvorgekommen. Solche Todten persiflirt man ungern.«
    Jedenfalls zeigte sich die Deutsche Presse eifrig bemüht, den Fall Leonhart als typisch für die deutsche Verkennung und das deutsche Schriftstellerelend möglichst breitzutreten. Ein Aufruf

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