Größenwahn
wegen Vergehens gegen die Disciplin gemaßregelt. Was hat denn der vielbeklagte Jüngling eigentlich geleistet! Romane konnte er nicht schreiben, der Faden seiner Handlung spann sich niemals ungezwungen ab, die äußeren Griffe des Erzählhandwerks beherrschte er kaum, und alles verlief sich ins Gefühlsverworrene. Die glückliche Hand eines alterfahrenen Technikers blieb ihm versagt, er scheiterte an der Klippe der Manierirtheit und Uebertreibung. Wenn er versuchte, geistreiche Silhouetten aus der Berliner Gesellschaft herauszuschneiden, so häufte er nur eine Fülle intimer Details mit reportermäßigem Behagen auf. Statt ohne Umschweif vorzugehn, das Ding an sich zu packen und knapp beim Namen zu nennen, verlor er sich in Schönrednerei, weil ihm für die praktisch-nüchterne Wahrhaftigkeit und ›poesielos‹ trockene Gesundheit des Berolinischen Alltagslebens das feinfühlige Tastorgan fehlte.
Und nun diese unwahre Schmerzfexerei, dies Reklamegeschrei, diese überreizte Fruchtbarkeit! Bekanntlich leidet unsre Zeit an drei großen Krankheiten: Atheismus, Morphiumsucht und Größenwahn . Wir wissen nicht, ob Leonhart an Morphiumsucht krankte. Seinen Atheismus vermuthen wir. Gewiß aber sind wir seines Größenwahns. Bei dieser widerlichen Selbstberäucherung, wo der Dichter gleichsam vor seinem verschönerten Ebenbild anbetend auf den Knieen rutscht, fällt wohl Jedem das gesunde Sprüchwort ein: ›Eigenlob stinkt, Andrer Lob klingt.‹ –
Krastinik lachte bitter auf.
Klingt – ja leider klingt es manchmal wie Zwanzigmarkstücke. Und da scheint denn doch das Eigenlob beträchtlich weniger zu stinken. Ist heut nicht jedes Lob verdächtig? Die wirklich Schlauen fügen in Lobhndeleien stets gehörigen Tadel ein, denn die Möglichkeit einer selbstlosen Begeisterung scheint ausgeschlossen. Fängt bei den ›Kollegen‹, die Wahrheitserkenntniß doch sicher erst an, wenn die persönliche Existenz des Autors erloschen ist. Was aber soll uns dann noch eine Kritik, die eben nur auf persönlichen Verhältnissen fußt? Besser wahres Eigenlob, als erlogenes Andrerlob! Es kommt hier einfach auf den Satz heraus:
Quod licet Jovi, non licet bovi.
Psychologisch betrachtet, verräth die Unvorsichtigkeit des Selbstlobes nur, daß die Eleusinischen Mysterien der Streberei dem muthigen Verletzer fremder Eitelkeit unbekannt blieben. Krastinik dachte aus der Fülle seiner Erfahrung an all jene Geschmeidigen, die der Kenner auf den ersten Blick durchschaut, heißen sie nun ›Cohn‹ oder ›Baron‹, die geschickt das plumpe Selbstlob vermeiden, sich überall durchwindend ohne anzustoßen und doch vordrängend. Und wird nicht das verrufene Selbstlob vollends eine verzeihliche Nothwendigkeit, falls man gegen ›die Schmach, die Unwerth schweigendem Verdienst erweist‹ gar keine andere Waffe mehr hat? Hier hört das Selbstlob auf, rein persönliche Eitelkeit auszustrahlen, und verliert seinen ursprünglichen Charakter, indem es einfach zur Vertheidigungsrede sich umformt.
Krastinik las weiter. Der kleine Lumpensammler kritikasterte nun so fort, indem er emsig auf die Untugend der Unbescheidenheit losklopfte und einen Injurien-Platzregen vom Olymp des Jupiter Pluvius Stupidus herabgoß. Krastinik verzog keine Miene. Denn wer einmal im inneren Ring der litterarischen Geschäfte thronte, constatirt ja nur mit ruhig geschäftsmäßigem Tone, warum dies und das geschrieben sei. Einen ungetrübten Blick für Ideales pflegen nur Fernstehende bewahren zu können. Zum guten Ton einer wahrhaft vornehmen Kritik gehört es hingegen unbedingt, die Absichten des Autors möglichst zu verdrehen und geistiger Urkundenfälschung zu fröhnen.
Man erstarrt als Uneingeweihter zur Salzsäule über die angeblichen Motivirungen, welche dieser skandalisirende Mephisto über die idealsten Dinge zum Besten giebt. Dies Büchlein riecht zum Himmel, daß Zeus sich die Nase zuhält. Es athmet einen Rinnstein-Odeur von roher Bosheit. Unter dem würdigen Schlachtgebrüll eines edeln Zornes drängelte der verstorbene Litteraturpapst nicht übel mit dem Ellenbogen, um einen Platz in erster Reihe zu ergattern. Er schwenkte als Zwingvogt seinen Hut auf eine hohe Stange hinauf, und wer sich nicht aus dem Staube machte, wurde gefaßt, ›weil man dem Hut nit Reverenz erwiesen‹. Er schmiß sogar seinen Geßlerhut tief ins Lager der Widersacher, um ihn dort wieder herauszuhauen. Das Schlachtgetümmel mit Tschingderatata wollte kein Ende nehmen. Nun hat es ein Ende
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