Größenwahn
Besprechung der mäßigsten Sudeleien. Da werden, Goethe, Horaz, Pindar, Burns, Petöfi, Heine, Lenau, Flaubert in Unkosten gestürzt, um als Lob-Vergleiche mit jedem Nachahmer herzuhalten.
Aber was sehe ich! Seien wir nicht ungerecht! Stützt man den betrunkenen Bauern auf der einen Seite (wie der selige Luther sagt), fällt er auf der andern Seite wieder herunter. Denn um ein gerechtes Gleichgewicht zu erzeugen, legt man dafür an die Werke des wirklichen Genies unmögliche Maßstäbe an, nach welchen es ja ein Leichtes wäre, Shakespeare und Goethe unsterblich lächerlich zu machen. Da werden die frechsten Lügen nicht gescheut, um das ehrliche Verdienst zu schmälern, – falls man es nicht am liebsten ganz todtschweigt. Bravo, das ist ausgleichende Gerechtigkeit. Diese Leute haben gleichsam ein instinktives Gefühl dafür, wo bedrohliches Uebergewicht vorhanden. Wo man ein hübsches Zwergtalent erkennt, da mag dasselbe noch so größenwahnsinnig in lächerlichen Radau-Vorreden sich aufblähen, – man kommt ihm freundlich entgegen.
Aber wehe der wahren Größe , die ihrer selbst bewußt! Kreuziget, kreuziget! »Bist Du der Juden König?« »Du sagest es.« Er hat bekannt, was brauchen wir weiter Zeugniß! »Ich finde keine Schuld an diesem Menschen«, sprach Pontius Pilatus, das Forum der Vernunft. Aber da erhoben die Juden ein graußes Geschrei und Pilatus ist schwach. »Ich überantworte ihn euch.« Da führeten sie ihn an eine Stätte, die heißet Golgatha. Daselbst schlugen sie ihm ihre Nägel durchs Fleisch.
Die armen Verleger! Wie ich sie bedaure! Wieviel Opfermuth und unausrottbare Zuversicht gegenüber der versteckten Gleichgültigkeit des Publikums!
»Und da kreuzigten sie neben ihm einen Räuber, der hieß Barrabas.« Der Verleger Murray prahlte seinen Freunden von einer Bibel vor, die ihm sein »großer Autor« Byron geschenkt. Aber diese Freunde, die mit im Complott, zeigten ihm jenen Bibelvers – da hatte der boshafte Dichter das Wort »Räuber« durchgestrichen und »Verleger« darübergeschrieben. – Nun, wenn man den Verleger Barrabas neben seinem Messias kreuzigt, so trifft ja ihn wohl das erlösende Wort: »Morgen wirst Du mit mir im Paradiese sein.«
Die Welt ist rund, mein Kind,
Und wir drehn uns mit.
Lauf nicht zu geschwind,
Sondern halte Schritt!
Der muß vor sich selber beben,
Wer sich selber Rechnung giebt.
Aber mir ist viel vergeben,
Denn ich habe viel geliebt.
Heut fand ich unter meinen Papieren ein vergilbtes Blatt, Verse in der Handschrift meines verstorbenen Freundes Gottlieb Ritter, jenes Esels, der sich wegen einer Chansonneuse erschoß:
Ha, Deiner Wange Rosenlicht,
Des Auges süß Vergißmeinnicht,
Verzaubert mich, doch manchesmal
Blickt's seitwärts auf mich kalt wie Stahl.
Die Lippen scheinen sein und rein,
Doch sehe ich die Schlängelein
Umzirkeln sie, die lieben alten
Bekannten, jene bösen Falten,
In denen Heine gleich erkannte
Kußgierig liebe Wahlverwandte.
Als Faust am Blocksberg, wo im Eck
Sein Gretchen stand, mit Lilith scherzte,
Sah er, indessen er sie herzte,
Zu seinem nicht geringen Schreck
Ein Mäuslein aus dem Munde hüpfen.
So sehe ich ein Schlänglein schlüpfen
Aus Deinem Munde – eine Zote!
Doch ob mir auch mein Gretchen drohte,
Die Tugend und das Ideal –
Anbete ich Dich doch nicht minder,
Gleich wie die abergläubigen Inder
Die Abgottschlange ihrer Wahl.
Du lieber Gott! Ein gut Stück Verlogenheit spielte doch auch dabei mit. Allerdings, Gottliebchen war ein wirkliches Genie, keiner von den komischen Stürmern und Drängern Jüngstdeutschlands, welche mit Straßendirnen die sociale Frage lösen und Jeden von ihrem Genie-Bund ausschließen, der sich zufällig in anständigen bürgerlichen Verhältnissen bewegt und »zahm« genug bleibt, socialistisches Geschwefele für unreifes Zeug zu halten. Aber auch Gottlieb Ritter »erlöste« das »Volk«, ohne von diesem gepriesenen Pöbel das Geringste zu wissen. Armer Teufel! Was mögen die albernen Dirnen, mit denen er sich herumschlug, über seine Sentimentalität gelacht haben! Ein richtiger deutscher Lyriker.
Ach und erst der verrückte Componist Ernst v. Bullrich, der angeblich wegen eines Biermensch im Duell gefallen sein soll! (Fritz Erdmann, der naturalistische Epiker, auf den Karl Schmoller immer so viel aus Concurenzneid schimpfte und der sich jetzo in Amerika herumtreibt, wollte nie recht mit der Sprache heraus.) Auch von ihm finde ich noch ein
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