Größenwahn
ihn auch hassen sollte, wurzelt in mir eine unzerstörbare Sympathie für diesen einzigen Wahlverwandten, diesen Bastard-Halbbruder meiner Wesenheit. Wer weiß, ob nicht trotzalledem in ihm unbewußt ein gleiches Gefühl schlummert!
Wohl erkenne ich, daß solche Naturen vulkanischem Granit vergleichbar sind: Das Feuer sprengt sie, aber schmelzt sie nicht. Mit all seinen Mängeln und Schwächen und Sünden kämpft er ja dennoch für sein gutes Recht. Das Recht des Werdens aus dem Recht des Seins. Man will, dieweil man muß, muß, weil man will. Ja, Recht, das Recht – du wunderbares Wort, so unergründlich wie die Ewigkeit! Dies das Gesetz, nach dem die Sterne in vorbestimmter Ordnung schweben, – das gleich mächtig in jedem Einzelwesen wirkt, – das, wo das Chaos in die Schöpfung mündet, zuerst den Keimtrieb in die Welt gepflanzt: Sein Recht zu suchen und das klug gefundene Recht auch zu behaupten, fest und unbedingt, im Wirbeltanz der ringenden Geschöpfe. Und so denn, unter eines Schicksals rechtloser Last zusammenbrechend, fühlt man im Innern noch den wuchtigen Takt der Waage, die uns zur Selbsterfüllung aufwärts reißt. Den Auserkorenen ward immer früh bewußt das eherne Gesetz in ihrem Busen: Das Recht des Wollens ist das Recht des Sollens .
Ich kann ihn nicht verdammen, diesen Schmoller. Das Recht der finsteren Notwendigkeit, das uns unwiderstehlich übermannt und dämonisch fortschleift auf ungemessener Wünsche Irrfahrt, bis ein letztes Riff ihm ein Ende setzt, – das wird in ihm doch triumphiren müssen. Der Stärkere hat Recht. Wohl ist er nur ein eitler Sclav der Selbsucht, falsch ist sein Recht und nackte Eigensucht sein Rechtsgefühl. So sollte er zähneknirschend von hinnen fahren und dem geborenen König die Herrschaft lassen.
Die Herrschaft – hahaha! Eine schöne Herrschaft, weiß Gott! Nein, bleiben wir beim Realen! So sollte es sein, so ist es nicht. Er ist stärker als ich, weil seine Roheit ihn knorrig erhält. Ich bin schwaches zartes Porzelan, ich zerspringe beim ersten Fall. Mit wehmüthiger Freude ahne ich, wie er das Gesindel noch zu Paaren treiben wird mit seiner Peitsche, wenn ich schon unter der Erde liege. Ich peitschte euch mit Ruthen, er aber wird euch mit Skorpionen züchtigen.
Ich fühle es, lange geht's nicht mehr so fort mit mir, es geht zu Ende.
Aber aus meinen Gebeinen wird erstehen ein Rächer.
V.
Seevögel umkreischten schrill ihre Nester, der Schaum klatschte an den stiebenden Sand, eine schwarze Ente schwang sich auf der glasigen Woge. Mit seiner Braut, der Erde, schien der Ozean zu schäkern. Er schmückte sie mit Muscheln. Bald ebbte er zurück, um ihren Reiz überschauend zu mustern, bald rollte er wieder zum Kusse heran.
Krastinik lag am Strande, das Buch war ihm entglitten. Und statt seiner las er vom weißen Blatt des Dünensandes, der unter dem glühenden Sonnenstrahl zu knistern schien, die Gedanken-Arabesken ab, welche wie Schatten seines Geistes darüberhin huschten.
Er schloß die Augen. Die Nacht der innern Stille umfing sein waches Hirn, jene Nacht, aus der allein sich Sterne empordrängen.
Lang und sorgsam dachte er über das Gelesene nach, um sich über die Zweifel Rechenschaft zu geben, die ihn bedrängten.
Wie ein Dom erhabener Stille, wölbten sich Meer und Aether ineinander. Wie das stille Murmeln altersgrauer Vergangenheit, wie das Zirpen von Heimchen in zerfallener Ruine, plätscherten sanft die Wogen. Aus dem Becher des Meergottes sprühte ihm ein gastlicher Willkommengruß schaumtropfend entgegen.
Dem nach innen Schauenden war es, als ob der Geist seines todten Idols, dessen treuer »Heroen-Anbeter« er gewesen, lautlos über den Wassern schwebe und wandele über Meer und Land. Und eine Stimme, wie das Geräusch vom Flügelschlag eines Engels oder das Säuseln in Karmels Klüften, wie das Murmeln der Muschel, die sich nach der Mutterwoge zurücksehnt, – eine geheimnißvolle Stimme sang den versöhnenden Psalm:
Wundersame Morgenfrühe,
Dehnst die Seele mir so weit.
All der Erde starre Mühe
Löst die holde Einsamkeit.
Sie umhüllt der Erde Schmerzen
Wie ein lichtes Schleiertuch.
Liebe wandelt still im Herzen
Und Vergebung sei mein Fluch.
Was vermag der Menschen Grollen,
Allgerechter, gegen Dich!
Deinem Licht, dem liebevollen,
Sonnengott, vertraue ich.
Meine Sünden, meine Fehle
Richten kannst Du nur allein.
Denn Du schaust in meine Seele,
In das Herz der Welt hinein.
Wohl, diese Stimme sang
Weitere Kostenlose Bücher